Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Bauwelt 3/2008
Wo genau abreißen? (Freiberg)

In der sächsischen Stadt Freiberg tobt der Kampf. Unversöhnlich streiten verschiedene Lager über die zukünftige Stadtentwicklung. Der Auslöser dieser Konflikte sind Pläne der Städtischen Wohnungsgesellschaft Freiberg (SWG), die in den nächsten Jahren 1000 Wohnungen abreißen will. Hintergrund der Pläne ist der Bevölkerungsrückgang in Freiberg von 51.000 Einwohnern 1989 auf derzeit 42.000 Einwohner und der Anstieg des Wohnungsleerstandes auf 3000 Wohnungen, das entspricht 13 Prozent des Wohnungsbestandes.

Im Februar 2007 wurde ein Stadtentwicklungskonzept beschlossen, das den Problemen mit einer Doppelstrategie begegnen will. Einerseits soll die wertvolle Altstadt möglichst vollständig erhalten werden. In den letzten Jahren konnte ein Großteil der Altstadt saniert und der altstädtische Wohnungsleerstand von 18 Prozent 2000 auf aktuell rund 15 Prozent gesenkt werden. Andererseits plant die Stadt bis 2010 den Abriss von 1000 Wohnungen in den übrigen Stadtteilen. Besonders dramatisch ist die Leerstandssituation in den Gründerzeitquartieren, die - als Kehrseite der Altstadtbelebung - einen Leerstandsanstieg hinnehmen mussten. Die südliche Bahnhofsvorstadt verzeichnete einen Leerstandsanstieg von 23,7 Prozent 2002 auf 35,1 Prozent 2005. Ein geringerer Leerstand herrscht dagegen in der Plattenbausiedlung Wasserberg, wo lediglich 7 Prozent aller Wohnungen leer stehen.

Probleme bereitete allerdings die konkrete Verteilung der Abrissmenge. Obwohl sich der größte Teil der leeren Wohnungen im Privatbesitz befindet, sind Privateigentümer zur Beteiligung an Abrissen nicht bereit. Deshalb sah sich die Stadt gezwungen, die SWG mit einem völlig überzogenen Abrisskontingent zu belasten. Sie soll nun 1000 Wohnungen abreißen, obwohl sie nur über 740 leere Wohnungen verfügt. Betroffen sind Gründerzeitgebäude, Reformwohnanlagen aus der Zeit um 1920, wie die Wohnanlagen Johannisstraße und Ziegelgasse von Stadtbaurat Gustav Rieß, sowie Wohngebäude aus der DDR-Zeit. Das vielleicht spektakulärste Abrissobjekt stellt das denkmalgeschützte Zentrum der Siedlung "Am Sonnenrad" dar, die von 1936 bis 1938 von Stadtbaurat Georg Salzmann erbaut wurde. Diese Siedlung umfasst mit Runen verzierte Fachwerkhäuser, die sich zu einer Mischung aus Dorfanger und altgermanischer Thingstätte gruppieren.

Gegen diese Abrisspläne formierten sich heftige Proteste verschiedener Akteure. Auf der einen Seite entstand im Frühjahr 2007 eine Bürgerinitiative, die sich gegen den Abriss von altersgerechten Plattenbauten wendet. Denn unter den 1000 Abrisswohnungen befinden sich auch 331 altersgerechte Wohnungen, die Senioren preiswerten Wohnraum bieten und deshalb zu großen Teilen noch bewohnt sind. Die betroffenen Mieter sollen nun ausziehen, ohne dass ihnen gleichwertige Ersatzwohnungen angeboten werden. Zudem können die preiswerten Wohnungen auch in Zukunft mit einer stabilen Nachfrage rechnen, da auch in Freiberg die Zahl der einkommensschwachen Senioren wächst. Deshalb fordert die Bürgerinitiative ein Stadtumbaukonzept, das vor allem preiswerte Wohnungen sichert. Diese Forderung unterstrich die Initiative mit Mahnwachen, Demonstrationen und einer Petition an das sächsische Innenministerium. Unterstützung erhielt sie vom Mieterverein, von Jugendinitiativen und von den Grauen Panthern.

Auf der anderen Seite gründete sich im August 2007 die Initiative "Stadtforum Freiberg", die vom Freiberger Altertumsverein und vom Verband privater Hauseigentümer Haus und Grund unterstützt wird. Das Stadtforum protestiert gegen den Abriss denkmalgeschützter Vorkriegsbauten und fordert eine Sanierung oder Privatisierung der Altbauten. Gleichzeitig plädiert das Stadtforum für einen verstärkten Abriss von DDR-Wohngebäuden.

Eine gütliche Einigung des Konfliktes ist nicht in Sicht. Die SWG will zwar bis 20.115 Millionen Euro in die Sanierung der Altstadt investieren. Doch weitergehende Altbausanierungen lehnt sie ab. Denn viele sanierte Altbauten der SWG sind Defizitbringer, die mit den Mieteinnahmen nicht refinanziert werden können. Eine Sanierung sämtlicher Baudenkmäler würde das Defizit der SWG weiter erhöhen und könnte am Ende sogar zur Insolvenz der SWG führen. Zudem würde eine Sanierung der Altbauten außerhalb der Altstadt die Aufwertung der Altstadt gefährden. Eine Reduzierung der Abrisspläne wird ebenfalls abgelehnt. Derzeit sind die einzelnen Positionen so unversöhnlich, dass ein Kompromiss zwischen den sozialen, denkmalpflegerischen und wirtschaftlichen Interessen kaum möglich erscheint. Derweil haben die ersten Abrisse begonnen. Beseitigt wurden sowohl Gründerzeitgebäude als auch Wohngebäude aus der Zeit um 1960.

Matthias Grünzig