Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.09.2007
Stadtblüte (Greifswald)

Greifswald ist ein kleines Wunder. Denn hier, im äußersten Nordosten Deutschlands, hat sich in den letzten Jahren eine Erfolgsgeschichte ereignet, die selbst Experten erstaunt. Die Bevölkerungszahl konnte in den letzten Jahren bei 53.000 Einwohnern stabilisiert werden, der Wohnungsleerstand ist auf 8 Prozent gesunken. Und eine aktuelle Studie des Basler Prognos-Instituts zur wirtschaftlichen Zukunft der Stadt verbreitet ebenfalls Optimismus.

Ein Grund für diesen Erfolg kann in der Rudolf-Petershagen-Allee besichtigt werden. Denn hier ist in den letzten Jahren der neue Campus der Ernst-Moritz-Arndt-Universität entstanden, der sich längst zu einem neuen Herz der Stadt entwickelt hat. Hier lernen 11.000 Studenten, international renommierte Wissenschaftler forschen auf den Gebieten Biomedizin, Genforschung und Kernphysik. Und in mehreren Technologie- und Gründerzentren drängen sich neue Unternehmen.

Die Geschichte des Campusneubaus begann mit einer Krise. Denn nach 1990 hatte auch Greifswald den Kollaps wichtiger Arbeitgeber, wie des Kernkraftwerkes Lubmin, hinnehmen müssen. Die Arbeitslosigkeit stieg, und die Abwanderung erreichte bedrohliche Dimensionen. Greifswald war also gezwungen, eine neue wirtschaftliche Basis zu finden. Den Ausweg bot ein Ausbau der traditionsreichen, 1456 gegründeten Universität. Doch auf dem alten, beengten Campus inmitten der Altstadt konnte der Ausbau nicht realisiert werden. Deshalb beschloss die Stadt den Bau eines neuen Campus auf einem Gebiet an der Rudolf-Petershagen-Allee, auf dem sich schon das 1959 erbaute Biologieinstitut und das in den achtziger Jahren errichtete Universitätsklinikum befand.

Das Konzept für den Campus lieferte das Büro Dall und Lindhardtsen aus Helsingör, das einen 1995 veranstalteten städtebaulichen Wettbewerb für sich entscheiden konnte. Die Grundidee der Planer war ein Campus der kurzen Wege. Sie entwarfen ein dichtes Nebeneinander der Universitätsbibliothek, der Institute für Chemie, Biochemie, Physik und Biologie sowie des Universitätsklinikums, das Synergieeffekte zwischen den Wissenschaftlern freisetzen sollte. Außerdem legten sie großen Wert auf eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Deshalb verbannten sie den Autoverkehr an den Rand des Campus. Nach diesem Konzept wurden schließlich die neuen Gebäude errichtet. Es entstanden die Universitätsbibliothek des Büros Baesler, Schmidt, Schwacke (Berlin), das Institut für Chemie und Biochemie des Büros Heinle, Wischer und Partner (Berlin), das Institut für Physik des Büros Bahlo, Könke, Stolberg und Partner (Hannover), die Erweiterungsbauten des Universitätsklinikums des Büros Dall und Lindhardtsen (Helsingör) und das Biotechnikum des Greifswalder Architekten Dirk Bartelt.

Heute bietet das neue Herz der Stadt ein überraschend idyllisches Bild. Der Besucher erlebt eine Parklandschaft aus Wasserbecken, Spazierwegen, Bänken und Kunstobjekten, die stellenweise eher an einen Kurort als an einen Hochschulcampus erinnert. An manchen Ecken wirken die Freiflächen noch etwas kahl. Doch in einigen Jahren, wenn die Bäume größer sein werden, dürfte sich auch dieser Eindruck ändern. Die Gebäude sind unauffällig in diese Parklandschaft eingebettet. Die drei- bis viergeschossigen Neubauten sind locker über das Gelände verstreut und versuchen jeden Eindruck von Monströsität zu vermeiden. Helle Klinker- und Tonfassaden fügen sich dezent in die Farbigkeit der Umgebung ein. Im Innern sorgen großzügige, helle Räume für eine freundliche Atmosphäre.

Der neue Campus ist allerdings nicht der einzige Grund für den Greifswalder Erfolg. Denn ganz nebenbei hat die Stadt auch noch eine intelligente Stadtumbaupolitik betrieben. Greifswald hat nicht auf den Abriss, sondern auf die Aufwertung aller Stadtteile gesetzt. Die Altstadt wurde saniert und durch qualitätvolle Neubauten, wie das Pommersche Landesmuseum, gestärkt. Die gründerzeitliche Fleischervorstadt konnte durch neue Einfamilienhäuser aufgewertet werden. Das in den siebziger Jahren erbaute Wohngebiet Schönwalde präsentiert sich ebenfalls aufwändig saniert. Und im Ostseeviertel aus den achtziger Jahren kann derzeit ein richtiger Bauboom besichtigt werden. Hier werden Plattenbauten zu Terrassenhäusern, Energiesparhäusern oder altenfreundlichen Wohnanlagen umgebaut.

Die Greifswalder Erfolgsgeschichte wird auch in den nächsten Jahren weitergehen. Bis 2009 soll der Bau der Mensa und der Ausbau des Universitätsklinikums abgeschlossen werden. Es sieht ganz danach aus, dass Greifswald auch in Zukunft beweisen wird, dass der Niedergang kein Schicksal ist.

Matthias Grünzig