Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Deutsches Architektenblatt 3/2007
Cottbus - Auf dem Weg in den urbanen Kollaps

Zu Beginn der neunziger Jahre war Cottbus eine vielversprechende Stadt. Cottbus verfügte über eine malerische Altstadt mit barocken Giebelhäusern, über dekorative Gründerzeitviertel mit einem prächtigen Jugendstiltheater und über den reizvollen Branitzer Park des genialen Gartenarchitekten Hermann Fürst von Pückler-Muskau. Daneben bot Cottbus noch weniger bekannte Vorzüge: Denn die Stadt war in ökologischer Hinsicht geradezu mustergültig angelegt. Ein Großteil der Cottbuser wohnte in kompakten Wohngebieten, die auf vorbildliche Weise durch ein ausgedehntes Straßenbahnnetz erschlossen wurden.

Allerdings hatte die Stadt auch Probleme. Nach 1990 brachen viele Unternehmen zusammen, die Arbeitslosenquote stieg auf über 10 Prozent, und viele Cottbuser entschlossen sich zur Abwanderung in die alten Bundesländer. Auf diese Probleme reagierte Cottbus mit einem Stadtumbau. Den Auftakt bildete die Bundesgartenschau 1995, die der Stadt neue Parks und ein neues Messegelände bescherte. Gleichzeitig begann der Ausbau der Brandenburgischen Technischen Universität und der Fachhochschule Lausitz. Erhebliche Fördermittel wurden in die Sanierung der Gründerzeitviertel und der Großsiedlung Sachsendorf-Madlow investiert. Besonders spektakulär war ein Umbauprojekt an der Theodor-Storm-Straße, wo aus den Platten eines elfgeschossigen Plattenbaublocks nach Entwürfen des Cottbuser Architekten Frank Zimmermann fünf Stadtvillen errichtet wurden.

Doch spätestens 2002 zeigte sich, dass all diese Stadtumbaustrategien einen entscheidenden Mangel hatten: Sie änderten nichts an der Wirtschaftsschwäche der Stadt. Denn nach 1990 war es der Stadt nicht gelungen, nennenswerte Unternehmensansiedlungen nach Cottbus zu holen. Die Folgen waren dramatisch: Die Arbeitslosenquote stieg auf über 20 Prozent, und der Exodus aus Cottbus setzte sich unvermindert fort. Die Stadt musste trotz zwischenzeitlicher Eingemeindungen einen Bevölkerungsrückgang von 130.000 auf 108.000 Einwohner verkraften. Und wo die Bürger wegzogen, erhöhte sich der Wohnungsleerstand. Obwohl zwischen 2000 und 2002 rund 400 Wohnungen abgerissen wurden, stieg der Leerstand auf rund 17 Prozent an. Selbst der Stadtumbau konnte an diesem Problem nichts ändern. Wer keine Arbeit fand, der ließ sich auch nicht durch teuer sanierte Wohnungen zum Bleiben bewegen.

Diese Realitäten provozierten eine Debatte über die zukünftige Strategie der Stadt. Sollte sie versuchen, dem Niedergang durch Wirtschaftsansiedlung Paroli zu bieten? Oder sollte sie sich mit der Schrumpfung arrangieren? Cottbus entschied sich für die Schrumpfungsperspektive. Diese Weichenstellung zog radikale Konsequenzen nach sich. Beispielsweise meldete sich Matthias Koziol, Professor für Stadttechnik an der Brandenburgischen Technischen Universität, zu Wort. Er warnte vor einer sinkenden Auslastung der Wasser- und Abwassernetze im Falle einer weiteren Schrumpfung und forderte einen radikalen Rückbau dieser Netze. Diese Forderung ließ sich aber nur dann erfüllen, wenn ganze Stadtteile abgerissen wurden.

Die Folge war eine Kehrtwende in der Stadtumbaupolitik. Nun stand nicht mehr die Sanierung und der Umbau, sondern der flächige Abriss ganzer Stadtteile auf der Tagesordnung. Das 2002 beschlossene Stadtumbaukonzept sah den Abriss von 8800 Wohnungen bis 2010 vor. Ab 2003 wurde in Sachsendorf-Madlow das gesamte Quartier Hegelstraße abgerissen, 2005 folgte das Wohngebiet Gallincher Straße, und 2006 wurde begonnen, den Stadtteil Neu-Schmellwitz zur Hälfte abzureißen. Für die übriggebliebenen Siedlungsteile hatte die Schrumpfung ebenfalls Konsequenzen. Denn diese wurden als "Abwartegebiete" eingestuft, die als "Rückbaureserven" für weitere Schrumpfungsprozesse in der Zeit nach 2010 dienen sollten. Sanierungen oder Umbauten wurden hier nicht mehr vorgesehen. Ähnlich rigoros waren die Festlegungen zu den Abrissflächen, die nicht wieder bebaut, sondern zu Weideflächen oder Wäldern umgenutzt werden sollten. Die Planer erhofften sich von diesem radikalen Rückbau eine größere Wirtschaftlichkeit der Stadt.

In der Praxis haben sich diese Hoffnungen bisher nicht erfüllt. Stattdessen zeigt sich, dass der flächige Abriss zu unerwarteten Schwierigkeiten führt. Ein Problem ist die Verunsicherung die Bürger, die nun nicht mehr wissen, wie lange ihr Haus noch stehen wird. Viele Mieter haben mittlerweile schon eine richtige Umzugsodyssee hinter sich, von einem Abrisshaus in ein vermeintlich sicheres Haus, das dann aber auch auf die Abrissliste gesetzt wurde. Deshalb ist es kein Wunder, dass jeder, der es sich irgendwie leisten kann, den vom Abriss betroffenen Stadtteilen Rücken kehrt. Zurück bleiben sozial schwache Bürger, deren Alltag zunehmend durch Perspektivlosigkeit, Verarmung und Kriminalität beherrscht wird. Das Resultat sind soziale Brennpunkte, die auf die gesamte Stadt ausstrahlen.

Weiterhin zeigt sich, dass der flächige Abriss die Wirtschaftlichkeit der städtischen Infrastruktur verschlechtert. Denn viele Bürger, die die Abrissviertel verlassen, ziehen in neue Einfamilienhäuser am Stadtrand, die wiederum durch neue Wasser- und Abwasserleitungen sowie Straßen erschlossen werden müssen. Bis 2020 wird der Bau von 4000 Neubauwohnungen, vornehmlich in Ein- und Zweifamilienhäusern, erwartet. Das Resultat ist eine paradoxe Verschiebung der Siedlungsstruktur: Gut erschlossene Siedlungen werden abgerissen, während gleichzeitig an schlecht erschlossenen Standorten neue Siedlungen wachsen. Der aktuelle Flächennutzungsplan prognostiziert trotz flächiger Abrisse eine Erweiterung der Wohnbauflächen um 11 Prozent. Die Ergebnis ist keine bessere, sondern eine schlechtere Auslastung der städtischen Infrastruktur. Vor allem die Straßenbahn erlebt seit Jahren einen Rückgang der Fahrgastzahlen. Da die Kosten für die Instandhaltung und den Betrieb dennoch bezahlt werden müssen, wächst das Defizit des städtischen Straßenbahnnetzes. Die Konsequenz: Die Cottbuser Stadtwerke operieren seit 2005 am Rande der Insolvenz.

Zudem erweist sich die Schrumpfung als finanzielle Zeitbombe. Denn weniger Einwohner bedeuten zugleich weniger Einnahmen für die Stadt. Sinkende Einwohnerzahlen führen nicht nur zu einem Rückgang der Steuereinnahmen, sondern auch zu rückläufigen Finanzzuweisungen, die an die Einwohnerzahl gekoppelt sind. Und zu alledem bewirkt die Schrumpfung auch einen automatischen Anstieg der Pro-Kopf-Verschuldung. Deshalb muss die Stadt schon seit Jahren ihre Zuschüsse für die Kultur, für soziale Einrichtungen, für die Jugendarbeit, für Investitionen zurückfahren. Weniger Einwohner bedeuten aber auch weniger Kaufkraft. Folgerichtig sinkt die Zahl der Läden, der Restaurants, der Freizeitangebote. Mittlerweile beträgt der Ladenleerstand in Cottbus rund 10 Prozent. Die Stadt verliert an Attraktivität, sie verödet.

Und wo die Stadt verödet, da gewinnt der Schrumpfungsprozess an Tempo. Während die Stadt 20.051.009 Einwohner verloren hat, musste 2006 ein Einwohnerverlust von 1723 Einwohnern beklagt werden. Bis 2020 wird ein weiterer Rückgang der Einwohnerzahl auf 87.000 erwartet. Gleichzeitig wird der Leerstand trotz der geplanten Abrisse bei rund 16 Prozent verharren. Deshalb wurde 2006 beschlossen, nach 2010 weitere 4000 Wohnungen abzureißen. Nicht weniger alarmierend sind die finanziellen Aussichten der Stadt. Nach den aktuellen Planungen wird sich das Haushaltsdefizit bis 2010 fast verdoppeln. Cottbus befindet sich also auf dem besten Weg in den urbanen Kollaps.

Ein Ende dieses Teufelskreises ist nicht in Sicht. Eher spricht alles dafür, dass sich die Abwärtsspirale aus sinkenden Einwohnerzahlen und schrumpfenden Finanzen fortsetzen wird, dass die Leerstände groß bleiben werden und immer neue Häuser auf die Abrissliste gesetzt werden. Am Ende könnte die schmerzliche Erfahrung stehen, dass eine Abrisspolitik nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung der Probleme führt.

Matthias Grünzig