Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Vortrag an der Freien Akademie der Künste Hamburg 07.02.2007
Schrumpfen ins Nichts? Wohin entwickelt sich die ostdeutsche Denkmallandschaft?

1. Das Leerstandsdrama

Die Altstadtsanierung in den neuen Bundesländern nach 1990 galt lange Zeit als eine Erfolgsgeschichte. Politiker, Architekten und Journalisten feierten die Verwandlung grauer Häuser in strahlend sanierte Schönheiten. Damals schien es, dass die ostdeutschen Altstadtkerne eine wundersame Rettung erfahren hätten.

Tatsächlich haben viele Altstädte nach 1990 große Sanierungsanstrengungen erlebt. In fast allen Altstadtkernen sind mittlerweile 50 bis 90 Prozent der Gebäude saniert. Angesichts dieser Erfolge fand eine einfache Tatsache dagegen kaum Beachtung: Dass eine Stadt nur existieren kann, wenn sie eine Existenzberechtigung, also eine wirtschaftliche Basis besitzt, die den Erhalt der Stadt und das Auskommen ihrer Bürger ermöglicht. Und genau hier lag das Problem. Denn ein Großteil der ostdeutschen Städte erlebte nach 1990 nicht nur einen Rückgang, sondern einen völligen Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Basis. Im sächsischen Zittau mussten die wichtigsten Arbeitgeber, die Textilindustrie und der Braunkohletagebau, komplett schließen, Görlitz verlor über 15.000 seiner einst 17.500 Industriearbeitsplätze, in Quedlinburg verringerte sich die Zahl der Industriearbeitsplätze von 7000 auf 200. Ähnliches vollzog sich in Eisleben, wo das Mansfeld-Kombinat still gelegt wurde, in Altenburg, wo die Wismut und die Braunkohleindustrie in Böhlen und Espenhain einen Großteil ihrer Arbeitsplätze abbauten, in Weißenfels, wo das Schuhkombinat "Banner des Friedens" zusammenbrach, und in Zeitz, wo Europas größtes Kinderwagenwerk "ZEKIWA" und das Hydrierwerk beseitigt wurden.

Die Folge dieses Kollapses waren Arbeitslosenraten, die offiziell zwischen 20 und 30 Prozent lagen, aber bei Abrechnung von ABM-Stellen, Ein-Euro-Jobs und Qualifikationsmaßnahmen oft die 50 Prozent-Marke überstiegen. Und wo es an Beschäftigungsmöglichkeiten mangelte, setzte auch schnell eine Abwanderung in die wirtschaftlich erfolgreichen Regionen in den alten Bundesländern ein. Die Folge dieses Aderlasses war eine dramatische Verringerung der Bevölkerungszahl der betroffenen Städte. Der Bevölkerungsverlust zwischen 1989 und 2006 betrug in Zeitz 36 Prozent, in Zittau 34 Prozent, in Greiz 32 Prozent, in Görlitz, Wurzen und Weißenfels 26 Prozent, in Quedlinburg, Aschersleben, Bernburg und Stendal 24 Prozent. Wo die Bürger wegzogen, da blieben leere Wohnungen zurück. In Görlitz stehen 34 Prozent aller Wohnungen leer, in Plauen sind es 31 Prozent, in Zittau 25 Prozent, in Wurzen und Weißenfels 21 Prozent. Fast alle ostdeutschen Städte entwickelten sich zu schrumpfenden Städten.

Was hat diese Schrumpfung nun mit der Sanierung der Altstädte zu tun? Um das Jahr 2000 herum, als die Diskussion über den Wohnungsleerstand und die schrumpfenden Städte einsetzte, war die Debatte noch von optimistischen Erwartungen geprägt. Die Schrumpfung wurde von vielen in erster Linie als eine Chance betrachtet. Vom "Gesundschrumpfen" der Städte war die Rede. Losungen wie "Schrumpf dich schön" und Begriffe wie "schlanke Stadt" oder "passende Stadt" machten die Runde. Vor allem für die Entwicklung der Stadtkerne schien die Schrumpfung Chancen zu bieten. Schließlich wurde allgemein angenommen, dass die schmuck sanierten Altstädte am wenigsten unter der Schrumpfung zu leiden hätten. Viele vermuteten sogar, dass diese von einem Zuzug aus den Plattenbausiedlungen profitieren würden.

Heute zeigt sich allerdings, dass die Realität völlig anders aussieht. Denn in Wirklichkeit sind es gerade die Altstädte, die besonders hohe Leerstände verzeichnen. In Weißenfels beträgt der Leerstand in der Gesamtstadt 21 Prozent, in der Altstadt dagegen 45 Prozent. In Zittau liegt der Wert für die Gesamtstadt bei 25 Prozent, für die Altstadt bei 35 Prozent. In Wurzen sind in der Gesamtstadt 21 Prozent, in der Altstadt 32 Prozent der Wohnungen unbewohnt. In Görlitz stehen insgesamt 35 Prozent der Wohnungen leer. In der Innenstadt beträgt der Leerstand nach Angaben der Stadtverwaltung rund 40 Prozent, nach Angaben des Geschäftsführers der städtischen Wohnungsgesellschaft Gerd Kolley liegt er weit höher.

Für diese Leerstandsverteilung gibt es vor allem drei Gründe. Ein Grund hängt mit den Wohnbedürfnissen der Bürger zusammen. Denn in vielen Städten entwickeln die Bürger keineswegs die erhoffte Altstadtbegeisterung. Stattdessen zeigen sich ganz andere Wohnwünsche. Viele Bürger legen Wert auf Grünflächen, Balkone, praktische Grundrisse und vor allem auf Parkplätze vor der Haustür. Die Altstädte, in denen oft diese Qualitäten nicht zu finden sind, stoßen bei diesen Bürgern auf Ablehnung.

Der zweite Grund ist die Wirtschaftlichkeit der Gebäude. Denn die Sanierung und Unterhaltung von Altbauten ist durchweg teurer als die Sanierung und Unterhaltung von neueren Gebäuden. Beispielsweise kann eine Komplettsanierung von Plattenbauten mit Wärmedämmung, Aufzugsanbau und Grundrissänderungen schon für 400 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche realisiert werden. Für die Sanierung von Altbauten fallen in der Regel Kosten von über 1000 Euro pro Quadratmeter, in besonders schwierigen Fällen sogar von 3000 bis 4000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche an. Diese Investitionen sind nur dann rentabel, wenn für die sanierten Altbauwohnungen hohe Mieten erzielt werden können. Doch in fast allen ostdeutschen Städten sind die Bürger zur Zahlung hoher Mieten weder willens noch in der Lage. Folgerichtig verzichten viele Eigentümer von Altbauten auf eine Sanierung und Unterhaltung ihrer Gebäude. Auch die relativ spärlichen Fördermittel für die Stadtsanierung können an dieser Tatsache nichts ändern.

Ein dritter Grund sind die Eigentumsverhältnisse. Denn nach 1990 hatten viele ostdeutsche Altstädte einen Umbruch der Eigentümerstrukturen erlebt, der vor allem durch die Sonderabschreibungen für die neuen Länder vorangetrieben wurde. 1991 beschloss die Bundesregierung die Einführung von besonderen Steuerabschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in den neuen Ländern, mit deren Hilfe auch die Altstadtsanierung gefördert werden sollte. Allerdings hatten diese Sonderabschreibungen einen Haken: Von ihnen konnten nur jene profitieren, die hohe Steuern zu zahlen hatten. Bei diesen Steuersparern handelte es sich vor allem um Großverdiener aus den alten Bundesländern, die im großen Stil sanierungsbedürftige Altbauten in den neuen Ländern erwarben. Die einheimischen Bürger dagegen, die oft Geringverdiener, arbeitslos oder Rentner waren, konnten von den Steuersparmodellen nicht profitieren. Sie hatten kaum die Möglichkeit, Häuser in ihrer Stadt zu unterhalten und zu sanieren. Die Folge war eine Umwälzung der Besitzverhältnisse unter den kleinen Hauseigentümern. Nach einer Studie des Berliner Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik waren nur 13 Prozent der kleinen Hauseigentümer von 2003 identisch mit jenen von 1991. (1) Am Ende dieses Umbruches gehörten viele Häuser in den ostdeutschen Städten auswärtigen Eigentümern, die vor allem an Steuersparmöglichkeiten interessiert waren und oft nur geringe Bezüge zu den jeweiligen Städten hatten.

Nach dem Auslaufen der Sonderabschreibungen 1998 und dem Einsetzen der Leerstandsproblematik entwickeln sich diese Eigentumsverhältnisse zu einem Sprengsatz. Viele Eigentümer, die ihre Objekte allein aufgrund der Steuersparmöglichkeiten erworben hatten, beginnen nun, ihre Häuser weitgehend zu ignorieren. Andere lassen ihre Baudenkmäler verfallen und warten ab, bis der Einsturz das Problem erledigt. Wiederum andere nutzen die überhöhten Verkehrswerte in den ostdeutschen Altstädten, die ebenfalls mit den Steuerabschreibungen zu tun haben, um auf ihre Gebäude hohe Hypothekenkredite aufzunehmen. Diese werden aber nicht zur Sanierung der Altstadthäuser, sondern für andere Investitionen verwendet. Noch schwieriger wird die Lage, wenn Eigentümer sterben und die Nachkommen das Erbe ausschlagen. Dann entstehen herrenlose Häuser, um die sich überhaupt niemand mehr kümmert. Und häufig sind Eigentümer dermaßen zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig, dass eine normale Hausverwaltung nicht mehr möglich ist. Die Mieter dieser Gebäude stellen fest, dass die Hausreinigung nicht mehr funktioniert, dass Schäden, wie Rohrbrüche oder defekte Regenrinnen nicht mehr behoben werden. Die Gewinner dieser Krise sind die Großvermieter, wie die Wohnungsgenossenschaften und die städtischen Wohnungsgesellschaften. Diese Unternehmen bieten nicht nur eine gute Hausverwaltung inklusive Pflege der Gebäude und der Freiflächen, sondern auch diverse Extraangebote für die Mieter. Sie unterhalten Mietertreffs, die Vorträge zu Hartz IV oder zum Erbschaftsrecht, Koch-, Mal- und Handarbeitskurse sowie Busausflüge anbieten, Seniorenfreizeitstätten und Kindergärten. Diese Angebote führen zu einer Abwanderung in die Bestände der Großvermieter, die die Altstadt schwächt. Denn der größte Teil der Bestände der Großvermieter liegt nicht in der Altstadt, sondern in den Plattenbausiedlungen.

2. Die Versteppung der Innenstädte

Welche Folge hat die Leerstandsproblematik für die Altstädte? Ein Beispiel ist die thüringische Stadt Altenburg. Altenburg war bis 1918 Residenzstadt des Kleinstaates Sachsen-Altenburg. Vor allem aber bot die Stadt ein ungewöhnlich geschlossenes Stadtbild. Denn Altenburg hatte weder während des Zweiten Weltkrieges noch während der DDR-Zeit größere Zerstörungen oder Abrisse hinnehmen müssen. 1990 präsentierte sich die Stadt als ein zwar sanierungsbedürftiges, aber doch fast unversehrtes Stadtdenkmal. Die Stadt verfügte über einen wertvollen Altstadtkern mit Bürgerhäusern aus der Renaissancezeit bis zum 19. Jahrhundert und einem prächtigen Renaissancerathaus, die Stadt besaß einen Schlossbezirk mit dem Schloss, der Orangerie, dem Teehaus, dem Marstall und dem Schlosspark, dekorative Gründerzeitviertel mit prächtigen Villen und Mietshäusern. Daneben konnte die Stadt mit zahlreichen Repräsentationsgebäuden, wie dem Theater, dem Lindenau-Museum, dem Naturkundemuseum Mauritianum, den barocken Regierungspalästen am Brühl, dem imposanten neuen Regierungsgebäude im Neorenaissancestil, Gerichten, Bankpalästen, der Akademie Josephinum und vielen anderen Schätzen aufwarten. Zudem hatten sich in Altenburg noch viele kleine Läden und Handwerksbetriebe erhalten können. Deshalb besaß die Stadt noch originale Ladeneinbauten, wie einen Friseurladen aus der Zeit um 1920 oder einen Fleischerladen mit Jugendstilfliesen.

Diese Lage änderte sich in den letzten Jahren. In einer der baukulturell wertvollsten Straßen, der Teichstraße, wurden in den letzten Jahren 14 der insgesamt 30 Bürgerhäuser aus der Zeit der Renaissance, des Barock und des Klassizismus abgerissen, darunter ein Renaissancehaus von 1596. Aber auch entlang anderer Straßen, wie der Pauritzer Straße, der Schmöllnschen Straße, der Moritzstraße und der Johannisstraße, mussten wertvolle Bürgerhäuser den Abrissbaggern weichen. Mittlerweile präsentiert sich das einst so geschlossene Stadtbild Altenburgs als eine lückenreiche Stadtlandschaft.

Ebenso schwierig ist die Lage in Zittau. Zittau war im 17. und 18. Jahrhundert eine bedeutende und wohlhabende Handelsstadt. Die Stadt lag damals im Schnittpunkt von Sachsen, Böhmen und Schlesien und war deshalb ein Zentrum reger Handelstätigkeit. Deshalb besaß Zittau eine wertvolle Altstadt mit prächtigen Kaufmannshäusern aus der Barockzeit, die den Reichtum ihrer einstigen Besitzer zur Schau stellten. Zudem hatte Zittau noch weitere baukulturelle Schätze zu bieten: Eine spätklassizistische Ringstraße mit einem Stadtbad, der Bauschule, der Webschule, Gymnasien, dem Theater und der Post sowie reizvolle Wohnviertel im Stil des Historismus und des Heimatstils.

Auch hier waren in den letzten Jahren massive Abrisse zu beklagen. Allein in der wertvollen Brunnenstraße wurden in den letzten Jahren ein frühbarockes Bürgerhaus, ein klassizistisches Bürgerhaus und ein Bürgerhaus aus der Zeit um 1600 abgerissen. Weitere Gebäude sind gefährdet, da sie Privateigentümern gehören, die an den Häusern keinerlei Sanierungs- oder Sicherungsarbeiten vornehmen. Die Folge sind Teileinstürze. Ein besonderes Problem ist das 1728 erbaute Bürgermeisterhaus Brunnenstraße 21. Dieses Haus kann noch heute mit originalen Stuckdecken, reich verzierten Treppengeländern und Kaminen aufwarten. Doch auch das Bürgermeisterhaus gehört einem Privateigentümer, der insolvent ist und sich deshalb zu keinen Sanierungsarbeiten in der Lage sieht. Die Folge ist ein weiterer Verfall. Auch in anderen Straßen, wie der Baderstraße, der Breiten Straße, der Böhmischen Straße und der Amalienstraße, mussten bis in die jüngste Zeit Abrisse beklagt werden. Zwar ist die Stadt bemüht, dem Verfall entgegenzusteuern. Doch mit den Fördermitteln für die Stadtsanierung kann allenfalls die Sicherung und Sanierung besonders wertvoller Gebäude finanziert werden. Das Resultat ist eine zunehmende Versteppung der Altstadt.

Ein weiterer Problemfall ist Weißenfels. Weißenfels war zwischen 1680 und 1746 Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Weißenfels. Aus dieser Zeit hatte sich noch bis vor wenigen Jahren die Grundstruktur einer barocken Residenzstadt erhalten. Hier gab es höfische Gebäude, wie das Barockschloss Neu-Augustusburg, die Palais der höheren Hofbeamten, das Fürstenhaus, das Hofmarschallhaus, die Kavalierhäuser, die Orangerie, den Marstall und die Hoffischerei. Daneben erstreckten sich die Bürgerstadt mit Barockhäusern der wohlhabenden Bürger und die Vorstädte mit den bescheidenen Häusern der niederen Hofbeamten, Handwerker und Fischer. Viele dieser Gebäude konnten mit barocken Stuckdecken, barocken Kachelöfen und Türbeständen aus der Barockzeit aufwarten.

Doch auch dieser Schatz wurde in den letzten Jahren von der Abrissbirne heimgesucht. 2004 wurden in der Marienstraße gleich sieben Bürgerhäuser aus der Zeit um 1720 abgerissen, an der Nikolaistraße verschwand ein Fachwerkhaus von 1668. Weitere Barockhäuser wurden in der Saalstraße und an der Klosterstraße abgerissen. Erhebliche Abrisse waren auch in den Vorstädten zu beklagen. In der Schützenstraße, in der Hohen Straße, am Klingenplatz sind ganze Häuserzeilen dem Abrissbagger zum Opfer gefallen. Weitere Häuser sind gefährdet, weil ihre Eigentümer keinerlei Interesse an ihrem Erhalt zeigen. Beispielsweise hat die Stadtverwaltung 2001 sämtliche Eigentümer der altstädtischen Jüdenstraße angeschrieben, um Informationen über etwaige Sanierungspläne zu erhalten. Allerdings hat keiner der Angeschriebenen geantwortet. Die Folge ist ein weiterer Verfall von Baudenkmälern. Die einem Privateigentümer gehörende Hoffischerei ist mittlerweile dermaßen geschädigt, dass Teileinstürze beklagt werden müssen. Eine ähnliche Situation besteht für das Hofmarschallhaus. Zudem hat die Leerstandsproblematik in der Weißenfelser Altstadt eine derartige Dramatik erreicht, dass mittlerweile selbst der Abriss sanierter Gebäude nicht mehr tabu ist. Beispielsweise soll demnächst ein 1997 saniertes Barockhaus in der Klosterstraße abgerissen werden. Auch in Weißenfels ist die Stadt bemüht, dem Verfall Einhalt zu gebieten. Die Stadt wendet fast ihre gesamten Investitionsmittel von rund einer Million Euro pro Jahr für die Altstadtsanierung auf. Doch angesichts des Sanierungsbedarfs ist diese Summe nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein für die Sanierung des Schlosses werden mindestens 35 Millionen Euro veranschlagt, die Sanierung des Fürstenhauses kostet 4 Millionen Euro und für die Sanierung eines Bürgerhauses am Markt werden 3,5 Millionen Euro gebraucht.

Altenburg, Zittau und Weißenfels sind keine Einzelfälle. Auch in anderen Städten wie in Bernburg, Wurzen, Eisleben, Quedlinburg, Leisnig, Köthen, Zeitz, Aschersleben, Gotha sind Abrisse wertvoller Baudenkmäler zu beklagen. Einen systematischen Überblick über all diese Abrisse gibt es nicht. Denn nur ein kleiner Teil der Abrisse taucht in der Statistik des Programms "Stadtumbau-Ost" auf. Der größere Teil wird dagegen lediglich als Ordnungsmaßnahme verbucht.

3. Die Abwärtsspirale

Wie sieht die Zukunft der ostdeutschen Altstädte aus? Gibt es Anzeichen für eine Umkehr des Negativtrends, für die vielbeschworene Renaissance der Innenstadt? Die Antwort fällt auch hier eher pessimistisch aus. Bei einem Fortbestehen der aktuellen Rahmenbedingungen wird sich der Niedergang der ostdeutschen Altstädte nochmals verschärfen. Denn nach allen bisherigen Erfahrungen führt die Schrumpfung nicht zu einem stabilen Zustand, sondern zu einem Abwärtsstrudel. Für diese Entwicklung gibt es vier Gründe: Ein Grund ist, dass Schrumpfung zu einer immer geringeren Nutzung der öffentlichen Infrastruktur, der öffentlichen und kulturellen Angebote führt. Beispielsweise verlieren viele Straßenbahnbetriebe, die selbst in kleineren ostdeutschen Städten noch in Betrieb sind, kontinuierlich an Fahrgästen. Da das Streckennetz und der Wagenpark dennoch unterhalten werden müssen, steigen die Kosten für den Straßenbahnbetrieb drastisch an. Mittlerweile wird schon die Einstellung der Straßenbahnbetriebe in Görlitz, in Frankfurt/Oder, in Cottbus und in Brandenburg diskutiert. Ebenso schwierig ist der Betrieb von kulturellen und kommerziellen Angeboten. All diese Angebote werden angesichts der Schrumpfung immer unrentabler und müssen reduziert werden. Das Resultat ist eine Verödung der Städte. Alles das, was eine Stadt attraktiv macht, wie Kaufhäuser, Läden, Restaurants, Bibliotheken, Theater, Kinos, Museen werden immer mehr in Frage gestellt. Und wenn die Städte veröden, dann ziehen die Bürger erst recht weg. Die Folge ist eine Abwärtsspirale.

Ein zweiter Grund hat damit zu tun, dass ein Rückgang der Einwohnerzahlen auch zu einem Rückgang der kommunalen Einnahmen führt. Weniger Bürger zahlen nicht nur weniger Steuern, sondern führen auch zu weniger Finanzzuweisungen an die Kommunen, die an die Bevölkerungszahl gekoppelt sind. Zudem zieht eine sinkende Bevölkerungszahl automatisch ein Anstieg der Pro-Kopf-Verschuldung nach sich. Deshalb haben viele Städte mittlerweile Probleme, gesetzmäßige Haushalte aufzustellen, und etliche kommunale Haushalte sind mittlerweile sogar gesetzwidrig. Die Folge dieser Zwänge sind massive Einschränkungen bei kommunalen Aufgaben. Vielen Städten fehlen die Gelder, um Kofinanzierungen für Städtebaufördermittel und Aufwertungsmittel des Programms "Stadtumbau Ost" zu leisten. Zudem können die Städte immer weniger kommunale Angebote finanzieren. Verschärft wird dieses Problem durch sinkende Ausgaben der Länder für Wissenschaft, Bildung und Kultur. Ein aktuelles Beispiel sind die Pläne des Freistaates Thüringen, die Ausgaben für die Theater ab 2009 um 20 Prozent zu reduzieren. Einige Kulturstätten soll es noch härter treffen. Beispielsweise ist geplant, die Landeszuschüsse für das Theater Nordhausen um 70 Prozent, für die Philharmonie Gotha-Suhl gar um 100 Prozent zu kürzen. Die Krise der Städte wird auf diese Weise zusätzlich verstärkt.

Ein dritter Grund hängt damit zusammen, dass nicht nur die öffentliche Finanzkraft, sondern auch die private Finanzkraft zurückgehen wird. Denn alle Prognosen sagen voraus, dass ein immer größerer Anteil der Bevölkerung in den ostdeutschen Städten Rentner sein werden. Derzeit erhalten diese Rentner noch relativ hohe Renten, da viele von ihnen eine langjährige Erwerbsbiografie in der DDR vorweisen können. Künftige Rentner allerdings werden nur Erwerbsbiografien aus schlecht bezahlten Jobs, ABM-Stellen, Ein-Euro-Jobs und Phasen längerer Arbeitslosigkeit vorweisen können und entsprechend geringe Renten erhalten. Die sinkende Kaufkraft dürfte die Verödung der Städte zusätzlich beschleunigen. Die Gastronomie, das Handwerk, der Handel und die Kultur werden Probleme bekommen, während wohl allein Discounter gute Geschäfte machen werden.

Zudem haben sinkende Einkommen auch Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Die Auswirkungen hat eine Studie des Büros Analyse und Konzepte Droyßig von 2006 für die Stadt Leipzig untersucht. Demnach wird das Rentenniveau bei zukünftigen Rentnern im Durchschnitt um 30 Prozent unter dem Niveau der heutigen Rentner liegen. Schon in drei bis vier Jahren muss mit einem Anstieg einkommensschwacher Haushalte von knapp 25 Prozent auf 40 bis 45 Prozent gerechnet werden. Die Folgen werden einschneidend sein: Die Nachfrage nach teuren Wohnungen wird zurückgehen, während die Nachfrage nach preiswerten Wohnungen steigen wird. Diese Nachfrage wird nach Ansicht der Experten nur durch Gebäude in industrieller Bauweise, also Plattenbauten, befriedigt werden können. Im Altbau dagegen wird sich die Leerstandsproblematik verstärken. (2) Diese Prognosen dürften für die kleineren Städte Ostdeutschlands, die weit mehr von Verarmung und Abwanderung betroffen sind, noch dramatischer ausfallen. Einige Städte haben aus diesen Perspektiven bereits Konsequenzen gezogen. Beispielsweise hat Zittau 2005 beschlossen, auf den ursprünglich geplanten Abriss von Wohnungen im Plattenbaugebiet Zittau Süd zu verzichten. Stattdessen werden sie nun für Bürger mit niedrigem Einkommen hergerichtet.

Der vierte Grund ist der Fachkräftemangel. Einerseits sind seit 1990 zahlreiche Fachkräfte aus den neuen Bundesländern abgewandert. Andererseits haben es die verödenden Städte schwer, qualifizierte Zuzügler anzulocken. Das Resultat ist ein zunehmender Mangel an qualifizierten Fachkräften in den neuen Bundesländern. Nach einer Studie der Forschungsabteilung der Deutschen Bank wird das Erwerbspersonenpotenzial in den neuen Ländern von derzeit 7 Millionen auf 4 Millionen im Jahr 2050 sinken. (3) Und wo Fachkräfte fehlen, sinkt auch das Interesse von Investoren. Die wirtschaftliche Krise der Kommunen dürfte sich deshalb nochmals verschärfen.

Diese vier Entwicklungen haben zur Folge, dass die Perspektiven der neuen Länder zunehmend pessimistisch beurteilt werden. Eine 2004 erstellte Studie der Forschungsabteilung der Deutschen Bank DB-Research kommt zu dem Schluss, dass der Rückstand der neuen Länder gegenüber den alten Ländern in Zukunft sogar noch wachsen wird. Erwirtschaften die neuen Länder heute noch rund 65 Prozent des westdeutschen Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes, so wird dieser Wert bis 2020 auf unter 60 Prozent sinken. (4) Auch deshalb wird die Bevölkerungszahl in den neuen Ländern laut der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes von derzeit 13,5 Millionen auf 9,8 Millionen im Jahr 2050 zurückgehen.

Verschärft wird der Negativtrend durch die Bundes- und Landespolitik. Denn diese reagiert auf die Negativprognosen nicht etwa mit verstärkten Anstrengungen zugunsten der gefährdeten Städte, sondern mit Rückzugs- und Abrisskonzepten, zu denen auch das Programm "Stadtumbau Ost" zählt. Noch radikalere Rückzugsstrategien werden diskutiert. Beispielsweise fordert Robert Kaltenbrunner vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3.12.2006 mit dem Titel "Belohnung fürs Wegziehen" eine Abkehr von einer regionalen Ausgleichspolitik zugunsten schwacher Regionen. Stattdessen schlägt er vor, den Wegzug aus diesen Regionen durch eine "Gratifikation für Wegziehende" zu fördern. Was derartige Abwanderungsprämien für wirtschaftsschwache Städte, wie Görlitz, Zittau oder Altenburg bedeuten würden, ist kaum vorstellbar. Es sieht also ganz danach aus, dass das Denkmalsterben jetzt erst richtig anfängt.

4. Schrumpfung ist kein Schicksal

Eine derartige Entwicklung wäre allerdings eine Katastrophe. Denn viele ostdeutsche Altstädte sind ja nicht nur hochkarätige Kulturdenkmäler, die für die gesamtdeutsche Identität unverzichtbar sind. Sie sind auch Standortfaktoren, die sich als ökonomische Ressource für ganz Deutschland erweisen können. Sie verkörpern Kultur, Attraktivität und Besonderheit, die, entsprechend genutzt, gerade auch für die gefragten qualifizierten Zuwanderer anziehend sein könnten. Viele von ihnen bieten Alleinstellungsmerkmale, die ein Vorteil im Städtewettbewerb sein könnten. Deshalb muss alles getan werden, um diese Schätze zu sichern.

Doch gibt es überhaupt Chancen, diese baukulturellen Schätze zu erhalten? Gibt es Gegenstrategien gegen den Altstadtabriss? Eine Strategie, die häufig vorgeschlagen wird, läuft darauf hinaus, periphere Siedlungen, vor allem die Plattenbausiedlungen, abzureißen und die Bewohner dieser Siedlungen in die Innenstadt umzusiedeln. In der Praxis aber stehen dieser Strategie vor allem zwei Hindernisse im Wege. Einerseits wohnen viele Bürger durchaus gern in den Plattenbausiedlungen. Sie schätzen die spezifischen Qualitäten dieser Siedlungen, wie praktische Grundrisse, Balkone, den Blick ins Grüne, die Parkplätze vor der Haustür, die Garagenstädte, die ausgedehnten Grünflächen und die ruhige Wohnatmosphäre. Bei einem Abriss von gut belegten Plattenbausiedlungen besteht deshalb die Gefahr, dass die betroffenen Bürger nicht in die Altstadt ziehen, sondern die Stadt ganz verlassen. Beispielsweise hat die Wohnungsbaugesellschaft Görlitz im Plattenbaugebiet Königshufen bis jetzt 187 Wohnungen abgerissen. Von den betroffenen Abrissmietparteien sind nur zwei in die Altstadt gezogen. Ein forcierter Abriss in Plattenbausiedlungen könnte daher den Bevölkerungsrückgang in den Städten noch beschleunigen.

Andererseits hat der Plattenbauabriss auch eine wohnungswirtschaftliche Seite. Denn viele Plattenbaubestände sind dank niedriger Sanierungs- und Unterhaltungskosten viel wirtschaftlicher als Altbaubestände. Viele Wohnungsunternehmen, die Plattenbau- und Altbaubestände besitzen, nutzen deshalb die Gewinne ihrer Plattenbaubestände, um die defizitären Altbauten zu subventionieren. Derartige Strategien verfolgen beispielsweise die Wohnungsbau- und Verwaltung Weißenfels, die städtische Wohnungsgesellschaft Wurzen oder die Wohnungswirtschafts- gesellschaft in Quedlinburg. Ein Abriss der gewinnbringenden Plattenbaubestände würde diese Wohnungsunternehmen in die Insolvenz stürzen. Die Städte müssten dann nicht nur für die Schulden ihrer Wohnungsgesellschaften aufkommen, sondern würden auch ihre einzigen stabilen und berechenbaren Vermieter verlieren. Der Altstadtsanierung wäre damit erst recht nicht geholfen. Aus diesen Gründen ist ein großflächiger Abriss von peripheren Siedlungen zugunsten der Altstadtkerne nicht realisierbar.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Fakten? Die ostdeutschen Altstädte können nur erhalten werden, wenn es gelingt, den Schrumpfungsprozess der Städte zu stoppen oder gar umzukehren. Die Gesellschaft muss Abschied vom Leitbild der schrumpfenden Stadt nehmen. Sie muss alle Hebel in Bewegung setzen, um die Schrumpfung zu stoppen.

Diese Forderung erscheint auf den ersten Blick unrealistisch. Schließlich sagt eine weit verbreitete Vorstellung, dass die Schrumpfung ein Schicksal wäre, das kaum beeinflusst werden könnte. Gegen diese Vorstellung sprechen allerdings mehrere Fakten. Einerseits geht aus der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes hervor, dass in Deutschland keine dramatische Schrumpfung absehbar ist. Die mittlere Variante sieht für die Zeit bis 2030 eine Stagnation der gesamtdeutschen Bevölkerung bei 81 Millionen Einwohnern voraus, und selbst für 2050 wird noch eine Bevölkerungszahl von 75 Millionen prognostiziert. Eine Erhöhung der Geburtenzahlen auf französisches oder schwedisches Niveau könnte diese Entwicklung noch günstiger beeinflussen.

Problematisch sind dagegen die Prognosen über die Verteilung der Bevölkerung in Deutschland. Nach der Bevölkerungsprognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung wird die Bevölkerungszahl bis 2020 in den neuen Bundesländern um 6 Prozent schrumpfen, in den alten Bundesländern dagegen um 1,5 Prozent steigen. Einigen wirtschaftsstarken Regionen, wie dem Großraum München, wird sogar ein Wachstum von über 10 Prozent prognostiziert. Das Problem ist also nicht ein gesamtdeutscher Bevölkerungsrückgang, sondern die Bevölkerungsverschiebung von den wirtschaftsschwachen neuen Ländern in die wirtschaftsstarken alten Länder.

Doch auch dieses Problem ist nicht unlösbar. Denn bereits jetzt gibt es Beispiele, dass eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik selbst in Krisenregionen möglich ist. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Ortes Thalheim bei Wolfen in Sachsen-Anhalt. Dieser Ort litt noch in den neunziger Jahren unter einer dramatischen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsschwäche. Doch 2001 entschloss sich die landeseigene Industrie- und Beteiligungsgesellschaft IBG, Thalheim zu einem Zentrum der Solarindustrie auszubauen. Sie gründete deshalb zusammen mit Berliner Solarzellenforschern das Unternehmen Q-Cells und siedelte es in Thalheim an. Mittlerweile sind in Thalheim rund 800 Beschäftigte in mehreren Solarfirmen tätig, bis 2010 wird ein Wachstum der Thalheimer Solarindustrie auf 5000 Beschäftigte erwartet. Es gibt aber auch weitere Beispiele für erfolgreiche Wirtschaftsentwicklungen, wie die Eisengießerei in Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern, die ihren Umsatz von 5,2 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 42 Millionen Euro 2006 steigern konnte.

Allerdings dürfte ein Wirtschaftswachstum allein nicht ausreichen, um die Altstädte zu revitalisieren. Ein Beispiel ist wieder Weißenfels. Diese Stadt konnte sich in den letzten Jahren erfolgreich als Zentrum der Lebensmittelindustrie profilieren. Hier produzieren mittlerweile eine Großbäckerei, ein Molkereibetrieb, ein großer Schlachthof, ein Getränkehersteller und Unternehmen aus der Verpackungsmittelbranche. Dank dieser Ansiedlungen konnte die Stadt ein Wirtschaftswachstum und einen Rückgang der Abwanderung errreichen. Die Altstadt allerdings konnte von diesen Ansiedlungen bisher nicht profitieren, weil diese Unternehmen keinerlei Symbiosen mit der Altstadt eingehen. Deshalb muss darüber diskutiert werden, welche Wirtschaftsstrukturen von den Vorteilen der Altstädte profitieren könnten. Denkbar wären Ansiedlungen aus den Bereichen Wissensökonomie und Kulturwirtschaft. Auch hat sich in der Praxis gezeigt, dass Universitätsstädte, wie Greifswald oder Weimar, meist geringere Probleme mit der Belebung der Altstädte haben. Nötig ist also eine differenzierte Analyse der Potenziale der Altstädte und eine enge Zusammenarbeit der Denkmalpflege, der Wirtschafts- Wissenschafts- und Kulturpolitik, um diese Schätze zu heben. Gefragt sind Konzepte, die denkmalpflegerische Ansätzen mit einer angepassten Förderung der Wirtschaft, der Bildung und der Kultur verbinden. Die Krise der ostdeutschen Altstädte verlangt nichts Geringeres als einen Paradigmenwechsel in der Denkmalpflege. Denkmalpflege darf sich in Zukunft nicht mehr nur auf die bauliche Sanierung von Gebäuden beschränken, sondern muss auch die wirtschaftliche Sanierung der Städte umfassen. Ansonsten droht der Untergang ganzer Kulturlandschaften.

Matthias Grünzig

(1) Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik: Inanspruchnahme und Wirkungen der Investitionszulage für den Mietwohnungsbereich, Endbericht, Berlin 2004, S. 73

(2) vgl. Stubbe, Peter; Jacobs, Tobias: Teilsanierte Plattenbauten entsprechen Hartz-IV-Anforderungen am besten, in: Die Wohnungswirtschaft 9/2006, S 36f.

(3) Deutsche Bank Research: Perspektiven Ostdeutschlands - 15 Jahre danach (Aktuelle Themen, Nr. 306), Frankfurt/Main 2004, S. 40

(4) Ebd., S. 44