Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Deutsches Architektenblatt 2/2005
Ressource Plattenbau

Wohl kaum eine Bauform ist in den letzten Jahren mit dermaßen viel Häme bedacht worden wie der Plattenbau. Vor allem die meinungsbildenden Politiker, Stadtplaner und Journalisten waren sich schnell darüber einig, dass es sich bei den Plattenbauvierteln um eine minderwertige Wohnform handeln würde. Kritisiert wurde nicht nur die serielle Ästhetik der Gebäude, die in einem provokanten Gegensatz zu den Selbststilisierungsbedürfnissen einer zunehmend individualisierten Gesellschaft stehen würde. Auch das Fehlen jener "urbanen" Straßen- und Platzräume, die in Altbauvierteln mit Straßencafe´s, Weinläden und Boutiquen für ein quirliges Straßenleben sorgen, wurde beklagt. Diese Spezifika schienen Grund genug zu sein, um den Plattenbauvierteln ein baldiges Ende zu prophezeien.

Und doch hatten diese Verdikte einen entscheidenden Makel: Denn sie alle waren nur in einem erstaunlich geringen Maß durch seriöse Analysen untersetzt. Wenig Beachtung fanden etwa Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit der Plattenbauten, zu ihren ökologischen Parametern, zur ihren Wohnqualitäten, zu ihrer Flexibilität, zu ihrer infrastrukturellen Ausstattung oder zu ihrer Eignung für die Anforderungen einer alternden Gesellschaft. Deshalb nahmen Debatten über Plattenbausiedlungen nicht selten einen oberflächlichen, geschmäcklerischen Charakter an, der zwangsläufig in Vorurteilen steckenbleiben musste.

Doch mittlerweile wandelt sich das Bild. Denn unter dem Eindruck ökonomischer und sozialer Krisen gewinnt zunehmend ein Pragmatismus Oberhand, der nicht nur nach ästhetischen Urteilen und Erlebnisqualitäten, sondern auch nach Werten, Kosten und Funktionen fragt. Vor diesem Hintergrund setzte in den letzten Jahren eine unvoreingenommenere Beschäftigung mit den Plattenbausiedlungen ein. Was dabei zu Tage trat, waren erstaunliche Vorzüge, die angesichts der bisherigen Negativurteile kaum zu erwarten gewesen wären. Beispielsweise haben Sanierungen wie die des Roten Viertels in Berlin-Hellersdorf bewiesen, dass sich in Plattenbauten hervorragende Sanierungen mit Aufzugeinbau und Grundrissänderungen bereits zu Baukosten von 400 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche realisieren lassen. Vergleichbare Altbausanierungen kosten dagegen durchschnittlich rund 1000 Euro pro Quadratmeter. Und mittlerweile gibt es sogar eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte, die eine noch weitergehende Wandlungsfähigkeit der Plattenbauten demonstrieren.

Ein Beispiel für eine gelungene Verwandlung von Plattenbauten ist der Umbau der Kräutersiedlung in Dresden-Gorbitz, die zwischen 2002 und 2004 durch die Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft Dresden eG vorgenommen wurde. Der Ausgangspunkt des Projektes war die Großsiedlung Dresden-Gorbitz, die zwischen 1978 und 1989 unter der Leitung des Dresdner Architekten Jörg Bösche als Wohngebiet mit 15.000 Wohnungen errichtet worden war. Wie viele Plattenbausiedlungen der DDR verfügte auch Gorbitz über zwei wichtige Vorzüge: eine sinnvolle städtebauliche Grundstruktur und eine flexible Bausubstanz.

Die städtebauliche Grundstruktur des Gebietes folgte einer Straßenbahnlinie, an der sich die einzelnen Wohnkomplexe bandförmig aufreihten und die den Wohnungen eine hervorragende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gewährte. Ebenso vernünftig wurde das Straßennetz gestaltet. Dank der Trennung zwischen lauten Durchgangsstraßen, die das Wohngebiet in größerem Abstand zu den Häusern tangierten, und ruhigen Wohnstraßen, die als Sackgassen oder Schleifen zu den Häusern führten, blieben die Wohnungen vom Verkehrslärm verschont. Und zu alledem wurde Gorbitz durch Fußgängerwege erschlossen, die kaum Straßen kreuzten und deshalb vor allem Kindern und älteren Bürgern gefahrlose Spazierwege boten. Weitere Vorteile der Siedlung waren die gute Ausstattung mit Supermärkten, Schulen, Kindergärten, Ärztehäusern und Grünflächen.

Aber auch die Bausubstanz bot zahlreiche Potenziale. Denn die in Gorbitz vorwiegend errichteten Plattenbauten vom Typ WBS 70/ 10.80 waren aus Grundsegmenten von 6 Metern Breite und 10,80 Meter Tiefe zusammengesetzt, innerhalb derer sich die Wände problemlos versetzen ließen und die deshalb eine große Flexibilität ermöglichten. Aber auch in die tragenden Wände ließen sich Öffnungen hineinsägen. Zudem wiesen die relativ neuen Gebäude einen sehr guten baulichen Zustand auf. Hier gab es keine Probleme mit schwammbefallenen Holzbalkendecken und bröckelnden Mauern, die viele Altbausanierungen zum unkalkulierbaren Risiko werden lassen.

Allerdings besaß Gorbitz auch Nachteile. Viele Wohnungen litten unter beengten Grundrissen sowie fensterlosen Bädern. Und weil die Sechsgeschosser ohne Aufzüge errichtet worden waren, erwiesen sich die Wohnungen in den oberen Etagen als unbeliebt. Als Reaktion auf diese Mängel erfolgte zwischen 2002 und 2004 ein aufwändiger Umbau der Wohnblöcke an der Forsythienstraße und dem Kamillenweg, der auch Mieter mit hohen Ansprüchen nach Gorbitz locken sollte. Nach Entwürfen der Dresdner Büros Dr. Körner und Rolf Zimmermann wurde ein Konzept realisiert, das von gartenstädtischen Idealen inspiriert war.

Eine erste Etappe der Umbauten umfasste die Veränderung des Gebäudeäußeren. Die drei obersten Geschosse wurden demontiert, um die unbeliebten Wohnungen in den oberen Stockwerken zu beseitigen, außerdem erfolgte der Abriss einzelner Gebäudesegmente. Anschließend wurden an einem Teil der Stirnseiten Erker mit geschosshohen Fenstern angefügt, und einem Gebäude wurde gar ein Penthaus aufgesetzt. Komplettiert wurde der äußere Umbau der Gebäude durch den Ersatz der ursprünglichen Loggien durch neue Balkons und neue Wärmedämmfassaden, die in Rot-, Blau- und Gelbtönen gehalten wurden. Ebenso umfassend gestaltete sich der Umbau des Gebäudeinneren. Hier wurden Wände versetzt und mit neuen Öffnungen versehen. Auf diese Weise entstanden großzügige Wohnungsgrundrisse, die auch Küchen und Bäder mit Fenstern sowie Maisonetten einschließen. Und im Anschluss an die Gebäude wurden Mietergärten angelegt, die die Bewohner der Erdgeschosswohnungen nutzen können.

Im Ergebnis der Baumaßnahmen sind aus den ehemals 384 Wohnungen 131 Wohnungen entstanden, die zu Nettokaltmieten zwischen 5 und 6,14 Euro pro Quadratmeter vermietet werden und vollständig belegt sind. Die Umbaukosten von rund 820 Euro pro Quadratmeter waren zwar deutlich höher als die Kosten einer normalen Plattenbausanierung, allerdings ist es dank dieses Aufwandes gelungen, auch anspruchsvolle Mieter für Plattenbauten zu gewinnen und somit die soziale Vielfalt in Gorbitz zu sichern. Umso bedauerlicher ist es, dass der ursprünglich geplante Umbau weiterer Wohnblöcke vorerst nicht realisiert werden kann. Der Grund liegt in der Förderpolitik das Freistaates Sachsen, der die Gelder des Programms "Stadtumbau Ost" nur noch für Abrisse bewilligt, obwohl das Programm ja eigentlich die gleichwertige Förderung von Abriss- und Aufwertungsmaßnahmen vorsieht.

Ein völlig anders gelagerter Umbau eines Plattenbaues kann in Rostock- Evershagen besichtigt werden. Rostock zählt zu den Städten, die den Stadtumbau am erfolgreichsten bewältigt haben. Die kommunale Wohnungsgesellschaft WIRO, der rund 30 Prozent der Rostocker Wohnungen gehören, hat mittlerweile ihren gesamten Wohnungsbestand saniert und dabei nur in Ausnahmefällen auf Abrisse zurückgegriffen. Zudem hat sich Rostock intensiver als andere Städte um eine gleichwertige Entwicklung seiner Wohnviertel bemüht. Beispielsweise hat die WIRO unterschiedlich aufwändige Sanierungsstandards für unterschiedliche Wohnansprüche festgelegt, die in allen Stadtteilen gleichermaßen verwirklicht worden sind. Gleichzeitig betätigt sich die WIRO auch als Entwickler von Einfamilienhaussiedlungen, die vorzugsweise am Rande von Plattenbausiedlungen angelegt werden und die ebenfalls zu einer ausgewogenen sozialen Mischung in allen Rostocker Stadtteilen beitragen sollen.

Im Rahmen dieser Stadtumbaustrategie wurde auch das Sanierungs- und Umbauprojekt Wohnanlage "Rasmus" verwirklicht, das mit Baukosten von 1350 Euro pro Quadratmeter zu den hochwertigsten Sanierungsvorhaben der WIRO zählt. Den Ausgangspunkt des Umbaus bildete ein 213 Meter langes, zwölfgeschossiges Mittelganghaus vom Typ R 12 aus dem Jahr 1976. Ungewöhnlich war zudem, dass das Gebäude auf Stelzen errichtet worden war, die ursprünglich eine Ladenstraße aufnehmen sollten, die dann aber aus Kostengründen nie verwirklicht wurde. Nach 1990 provozierte der Gigant zahlreiche Diskussionen. Schließlich galten Wohnanlagen dieser Dimension unter Stadtplanern als Problemfälle, die mit Anonymität, fehlender sozialer Kontrolle und Verwahrlosung in Verbindung gebracht wurden. Nicht zuletzt deshalb wurde vielerorts der Abriss derartiger Gebäude gefordert. Doch die WIRO entschied sich für einen anderen Weg: Sie sah die Größe des Komplexes nicht nur als Problem, sondern auch als Chance an, aus dem Giganten eine "Stadt in der Stadt" mit integrierten Einkaufsstätten, Service- und Freizeitangeboten zu entwickeln.

Ganz in diesem Sinne erfolgte der Umbau des Gebäudes, der durch das Rostocker Büro Architekten - Partner unter Leitung von Franz-L. Carewicz vorgenommen wurde. Die äußere Dimension des Gebäudes blieb dabei unverändert. Für Änderungen sorgte lediglich der Ersatz der Loggien durch verglaste Wintergärten, die durch vergrößerte Öffnungen mit den Wohnzimmern verbunden wurden, und der Anbau einer futuristisch anmutenden Aluminiumfassade. Umfangreicher gestaltete sich der Umbau des Gebäudeinnern. Auch hier wurden Wände versetzt, großzügige, helle Bäder und Küchen geschaffen sowie Maisonettewohnungen eingebaut. Auf diese Weise wurden aus den einst 544 Wohnungen 348 Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 52 und 128 Quadratmetern geschaffen, die zum Teil barrierefrei ausgelegt sind. Als besondere Attraktion entstanden 8 Penthauswohnungen mit Dachterrassen, die einen reizvollen Panoramablick bieten.

Die eigentliche Besonderheit des Umbaues war allerdings die Umbauung der Stelzen mit einem neuen Erdgeschoss. Hier entstanden eine Ladenstraße mit 10 Läden, ein Wellness-Bereich mit Sauna, Whirlpool und Schwimmbecken sowie eine Pflegestation. Komplettiert wurde der Umbau durch neue Eingangsbereiche, die mit einem Conciergeservice ausgestattet wurden. Diese Conciergen übernehmen nicht nur eine durch Videokameras unterstützte Kontrolle des Komplexes, sondern kümmern sich auch um Serviceleistungen, wie Bestell-, Putz- und Betreuungsdienste.

Das Ergebnis des Umbaus ist eine Wohnanlage, die trotz der relativ hohen Nettokaltmieten von 7 bis 8,50 Euro pro Quadratmeter sehr beliebt ist. Und auch die Rostocker Stadtumbaustrategie als Ganzes hat sich als erfolgreich erwiesen. Dank der Sanierungen konnte nicht nur der Leerstand in den Wohnungen der WIRO auf gut 6 Prozent und in der Gesamtstadt auf rund 7,5 Prozent gesenkt werden, sondern auch der jahrelange Bevölkerungsrückgang Rostocks gestoppt werden. Vor allem aber ist es dank solcher Projekte wie der Wohnanlage "Rasmus" gelungen, die Spaltung der Stadt in beliebte und unbeliebte Stadtteile zu verhindern.

Ein ebenso innovatives Beispiel für den Umgang mit Plattenbauten ist eine Eigentumswohnanlage in der Leipziger Volksgartenstraße, die von der Saxum AG verwirklicht worden ist. Die Saxum AG ist eine Chemnitzer Firma, die schon seit Jahren eine ungewöhnliche Geschäftsidee mit Erfolg realisiert: Sie kauft leer stehende Plattenbauten in Chemnitz, Dresden, Leipzig und Berlin auf und baut diese dann zu kostengünstigen Eigentumswohnungen um. Die Geschichte ihres Leipziger Projektes begann mit einem 1976 eröffneten Studentenwohnheim im Plattenbaugebiet Schönefeld. Das nach einem Entwurf des Leipziger Architekten Hubertus Berger errichtete achtgeschossige Gebäude erstreckte sich über eine Länge von 176 Metern und bot 1308 Studenten Platz. Doch nach 1990 wurde das Studentenwohnheim aufgegeben, und in den größten Teilen des Gebäudes zog der Leerstand ein. Lediglich ein kleiner Teil des Komplexes wurde zu einer Jugendherberge umgenutzt. Im Jahr 2002 schließlich schien das Schicksal des Gebäudes besiegelt zu sein. Damals wurde von der Leipziger Stadtverwaltung der "Teilplan Großsiedlungen" beschlossen, der den Abriss des Gebäudes vorsah.

Doch dann kam alles ganz anders als geplant. Denn die Saxum AG wurde auf das leer stehende Gebäude aufmerksam und erkannte die Chancen, die der Bau bot: die verkehrsgünstige Lage, das ruhige und grüne Wohnumfeld, die gute Infrastrukturausstattung und die Flexibilität der Plattenbauweise. Deshalb entwickelte das Unternehmen den Plan, das Studentenwohnheim zu einer Eigentumswohnanlage mit rund 150 preisgünstigen Wohnungen umzubauen. Doch vor der Umsetzung des Projektes musste die Saxum AG erst einmal einige Auseinandersetzungen bestehen. Denn das Leipziger Stadtplanungsamt lehnte das Projekt zunächst ab. Angesichts eines Leerstandes von rund 60.000 Wohnungen in Leipzig - so argumentierte das Stadtplanungsamt - gäbe es für zusätzliche Wohnungen keinen Bedarf. Erst nach einiger Überzeugungsarbeit konnte der Umbau 2003 begonnen werden.

Auch der Block in der Volksgartenstraße erfuhr in seinem Äußeren eine komplette Verwandlung. Nach Entwürfen der Saxum AG und des Lichtensteiner Büros Heine und Reichold wurden eine Wärmedämmfassade, neue Balkons und Wintergärten angebaut. Im Inneren erfolgten wiederum radikale Grundrissänderungen, dank derer 30 verschiedene Wohnungsgrundrisse angeboten werden können. Zudem erlaubt es die Flexibilität des Plattenbaues, bei der Grundrissgestaltung auch spezielle Kundenwünsche zu verwirklichen. Eine Attraktion sind die 100 Quadratmeter großen Dachterrassen, die einen fantastischen Blick auf Leipzig bieten und die alle Hausbewohner nutzen können.

Eine Besonderheit des Projektes ist zudem die konsequente Nutzung standardisierter Bauteile. Da die Plattenbauweise durch ein hohes Maß an Normierung geprägt ist, konnte auch beim Umbau des Plattenbaues in großem Stil auf standardisierte Türen, Fenster, Balkon- und Wintergartensysteme zurückgegriffen werden, die in großen Serien und deshalb entsprechend preisgünstig eingekauft werden konnten. Dank dieser Strategie gelang es, den Kaufpreis für die Wohnungen auf rund 1000 Euro pro Quadratmeter zu begrenzen. Der Attraktivität der Wohnungen tat dieser vermeintliche Mangel an Individualität allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Saxum AG hat die Erfahrung gemacht, dass viele Wohnungsinteressenten keineswegs eine extravagant gestylte Wohnung, sondern praktische und funktional gestaltete Wohnungen zu günstigen Preisen suchen. Nicht zuletzt deshalb erfreuen sich die Eigentumswohnungen einer regen Nachfrage. Und auch im Leipziger Stadtplanungsamt wird das Projekt nunmehr positiv bewertet, da es zu einer Aufwertung und einer besseren sozialen Mischung des gesamten Wohngebietes Schönefeld geführt hätte.

All diese Beispiele demonstrieren, wieviel Zukunftsfähigkeit in den Plattenbausiedlungen steckt. Natürlich hat die Wandlungsfähigkeit dieser Siedlungen auch ihre Grenzen. Die einheitlich geplanten und relativ homogenen Quartiere werden nie zu Schauplätzen schillernder Individualität oder urbaner Anarchie werden. Aber sie haben alle Chancen, um sich zu angenehmen, ruhigen und gepflegten Wohnvierteln zu entwickeln, in denen breite Bevölkerungsschichten gute Wohnungen zu bezahlbaren Preisen finden können. Für diese Perspektive spricht, dass schon jetzt fast alle Plattenbausiedlungen eine stetige Verbesserung ihrer Wanderungsbilanzen verzeichnen. Und es ist nicht auszuschließen, dass die schon totgesagten Plattenbauten ihre beste Zeit noch vor sich haben.

Matthias Grünzig