Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Deutsches Architektenblatt 1/2005
Große Potenziale, große Probleme (Halle/Saale)

Halle an der Saale ist eine Stadt der Gegensätze. Auf der einen Seite bietet die Stadt einen Reichtum an Potenzialen, den nur wenige Großstädte in Ostdeutschland vorweisen können. Halle liegt inmitten des perspektivreichen mitteldeutschen Wirtschaftsraumes, ist an einen internationalen Flughafen angebunden, verfügt über hervorragende Anschlüsse an das Eisenbahn-, Autobahn- und Wasserstraßennetz, besitzt eine traditionsreiche Universität und eine vitale Kulturszene, die fünf Theater, zahlreiche Galerien und andere Kulturstätten umfasst. Vor allem aber kann Halle mit einem baulichen Reichtum aufwarten, der seinesgleichen sucht. An erster Stelle der baulichen Schätze Halles steht zweifellos die Altstadt, die trotz einiger Überformungen während der Kaiserzeit und der DDR-Zeit viel von ihrem ursprünglichen Charakter bewahren konnte. Hier reihen sich an verwinkelten Straßen Bürgerhäuser aus der Zeit der Renaissance, des Barock und des Klassizismus aneinander, und auch die kleinen Läden und Handwerksbetriebe tragen zur reizvollen Atmosphäre der Altstadt bei.

Nicht minder spannend ist die ab 1964 unter Leitung von Richard Paulick errichtete Neustadt, die wie kaum eine andere Stadt in Deutschland die Ideale der Moderne widerspiegelt. Hier ist fast alles präsent, was die Moderne ausgemacht hat: das unbegrenzte Vertrauen in staatliche Gestaltungsmöglichkeiten, die Hoffnung auf die Überwindung sozialer Gegensätze, der Technologieoptimismus, aber auch die Sehnsucht nach einem leichteren und freieren Leben. Ganz in diesem Sinne entstanden helle und bequeme Wohnungen, großzügige Grünflächen mit Kunstwerken, Verpflegungskomplexe, die den Bürgern das Kochen ersparen sollten, ein Bildungszentrum, das an aufklärerische Traditionen anknüpfte, sowie ein Kino und eine Einkaufsstraße. Das Kulturzentrum mit einer Stadthalle, einer Galerie und einem Theater, das vom kulturellen Anspruch der Planer künden sollte, wurde dagegen aus Kostengründen nicht verwirklicht. Trotz dieser Mängel präsentiert sich Halle-Neustadt als eine bildstarke Schöpfung der Moderne, die mit ihren Großstrukturen ein komplementäres Gegenstück zur kleinteiligen Altstadt bildet.

Halle besitzt zudem noch weitere markante Quartiere, wie das Mühlweg- und das Paulusviertel mit ihren reich dekorierten Gründerzeitvillen, die idyllische Gartenstadt Gesundbrunnen aus der Zeit um 1930, das gemäßigt moderne Lutherviertel und die durch das Bauhaus inspirierten Zeilenbauten der Siedlung Vogelweide. Von der DDR-Zeit zeugen neben der Neustadt die Siedlungen Südstadt, Silberhöhe und Heide Nord sowie der Riebeckplatz, der mit seinen beiden Punkthochhäusern den Stadteingang von Halle bildet. Halle verfügt also über eine markante Identität, die gerade in der Ära der Globalisierung immer wichtiger für den Erfolg einer Stadt wird.

Auf der anderen Seite ist aber auch unübersehbar, dass Halle in einer tiefen Krise steckt. Die Stadt hat seit 1990 über 80.000 seiner einst 3.200.000 Einwohner verloren. In manchen Vierteln sind ganze Straßenzüge zu finden, die nur noch von verlassenen Geisterhäusern gesäumt werden, während andernorts schon die Abrissbagger ihr Werk verrichten. Und auch um die Wirtschaft Halles steht es nicht zum Besten. Eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft vom April 2004 setzte die Stadt gar in puncto Wirtschaftserfolg auf den deutschlandweit letzten Platz.

Wer nach den Ursachen für diese Widersprüche sucht, stößt auf eine verwickelte Geschichte, die einerseits mit den allgemeinen Strukturveränderungen in Ostdeutschland zu tun hat, andererseits aber auch von stadtpolitischen Fehlentscheidungen und vergebenen Chancen handelt. Diese Geschichte der hallesche Stadtentwicklung nach 1990 begann mit widersprüchlichen Ausgangsbedingungen. Zwar verfügte die Stadt auch damals schon über reiche Potenziale. Doch gleichzeitig hatte Halle auch mit einem massiven Arbeitsplatzabbau bei den wichtigsten Arbeitgebern, den Leuna- und Buna-Werken, zu kämpfen. In solch einer Krisensituation ist mehr denn je eine aktive Stadtentwicklungspolitik nötig, die sowohl die Identität der Stadt bewahrt als auch den Mut zu Experimenten zeigt. Und oft ist es auch eine Frage der Mentalität, die über den Erfolg der Politik entscheidet. Gibt es so etwas wie einen Willen zum Erfolg, der auch neue Wege nicht scheut? Oder dominiert das mutlose Sich-Abfinden mit dem Abwärtstrend?

Tatsächlich hat Halle nach 1990 einiges erreicht. Das erfolgreichste und innovativste Projekt der halleschen Stadtplanung nach 1990 ist zweifellos der Campus Weinberg, der sich im Nordwesten der Stadt beiderseits der Heideallee erstreckt. Den Ausgangspunkt dieses Projekts bildeten zwei Gebäudekomplexe: die 1937 von Ernst Sagebiel erbaute Heeresnachrichtenschule, die bis 1994 von der sowjetischen Armee genutzt wurde, und eine Campusanlage aus der DDR-Zeit, die seit 1952 entstanden war. Diese Komplexe wurden in den Folgejahren zu einer Wissenschaftsstadt weiterentwickelt, die mittlerweile Wohnungen, Institute der halleschen Martin-Luther-Universität, außeruniversitäre Institute und forschungsintensive Unternehmen beherbergt. Als Schlüssel zum Erfolg diente eine geschickte Verbindung von Sanierungen, Umnutzungen und Neubauten, die die vorhandenen Potenziale konsequent nutzten. Zu ihnen zählen die 2000 beendete Sanierung des Instituts für Pharmazie (Altbau: Wolfgang Fraustadt, Lothar Pleyer, Sanierung: Büro Dr. Mertens - Bad Dürrenberg), der 2000 eröffnete Neubau des Biologicums (Büro Kister, Scheithauer und Gross - Köln) und der 2003 abgeschlossene Umbau und Ausbau des Klinikums Kröllwitz zum Universitätsklinikum (Altbau: Horst Letzel, Otmar Klemens, Sanierung und Neubau: Büros Hascher, Jehle - Berlin, Monnerjan, Kast, Walter - Düsseldorf, Woerner und Partner - Frankfurt/Main). Weitere Marksteine waren der 2003 beendete Umbau eines Teils der Heeresnachrichtenschule für die Geowissenschaftlichen Institute der Universität (Sanierung: Büro Pfeiffer, Ellermann, Preckel - Berlin) und die ebenfalls 2003 abgeschlossene Sanierung des Instituts für Chemie (Altbau: Wolfgang Fraustadt, Lothar Pleyer, Sanierung: Büro Dr. Medwed - Halle). Zudem entstanden mehrere Max-Planck-, Fraunhofer- und Leibniz-Institute sowie Technologie- und Gründerzentren. Bis jetzt wurden in den Campus Weinberg rund 750 Millionen Euro investiert und 5000 Arbeitsplätze geschaffen.

Doch neben dieser Erfolgsgeschichte finden sich in Halle auch viele Beispiele für Fantasie- und Mutlosigkeit. Ein Beispiel ist der Umgang mit der Altstadt. Hier erfolgte eben nicht die Stärkung des kleinteiligen und überschaubaren Charakters des Quartiers, der so wichtig für die Identität Halles ist. Stattdessen wurde der Neubau großmaßstäblicher Einkaufskomplexe betrieben, die den Maßstab der Altstadt sprengten. Strategisches Ziel war der Umbau der Altstadt zu einer Geschäftscity, die gegenüber den neu entstandenen suburbanen Einkaufszentren konkurrenzfähig sein sollte. Nach diesem Konzept entstanden die Ritterhaus-Passage (Planungsgesellschaft Krefeld), das Stadtcenter "Rolltreppe" (Büro Chapman, Taylor, Brune - Düsseldorf), die Händelgalerie (Büro Kister, Scheithauer und Gross - Köln), zwei neue Kaufhof-Warenhäuser am Marktplatz (das letztere vom Büro Kister, Scheithauer und Gross - Köln). Nicht weniger großmaßstäblich gerieten das 2003 fertig gestellte Händelhaus-Karree (Büro Kister, Scheithauer und Gross - Köln), dessen bis zu sechsgeschossige Baukörper die zweigeschossigen Barockbauten der Umgebung regelrecht erschlagen, und das noch unvollendete Quartier "Spitze" (Büro Braun und Schlockermann - Frankfurt/Main, Dresden), wo bisher das MDR-Landesfunkhaus, eine Konzerthalle und Bürobauten errichtet worden sind. Stadtverträglichere Konzepte, wie die Neubebauung von Brachflächen durch kleinere Wohnhäuser, wie sie im Erfurter Andreasviertel verwirklicht wurden, fanden in Halle dagegen keine Anwendung.

Wenig einfallsreich gestaltete sich auch der Umgang mit den wertvollen Altbauten der Altstadt. Ungewöhnliche Projekte, wie die Wohnungsgenossenschaft Frankenstraße in der Altstadt von Stralsund, die einen kostengünstigen Erwerb von Wohneigentum im Altbau ermöglicht hat, sind in der halleschen Altstadt nicht zu finden. Zwar gab es Bürgerinitiativen, die derartige Modellvorhaben anstrebten, wie die Interessengemeinschaft Mittelstraße, die eine Häusergruppe aus dem 16. bis 18. Jahrhundert in Eigenleistung sanieren wollte. Doch diese Aktivitäten wurden immer wieder von der Stadtverwaltung ausgebremst. Die Folge dieser Versäumnisse waren Abrisse, denen seit 1990 unzählige Bürgerhäuser aus der Zeit der Renaissance, des Barock und des Klassizismus zum Opfer gefallen sind. Und auch die Neubauten forderten ihren Tribut. Dem Bau des Händelhaus-Karrees musste das wertvolle Barockhaus "Schützei" in der Kleinen Ulrichstraße weichen, während für den zweiten Kaufhof-Neubau am Marktplatz große Teile des ehemaligen Hotels "Zum goldenen Ring" und eines klassizistisch überformten Bürgerhauses aus der Renaissancezeit abgerissen wurden. Das Ergebnis dieser Umgestaltung ist ein Verlust an Identität. Denn die einst so unverwechselbare, kleinteilige Altstadt beginnt sich allmählich zu einer gewöhnlichen Büro- und Geschäftscity zu wandeln, wie sie in vielen Städten zu finden ist.

Ähnlich zwiespältig stellt sich die Lage in der Neustadt dar. Zwar wurden seit 1990 rund 300 Millionen Euro in die Wohnungssanierung investiert. Zudem erfuhr das Neustädter Zentrum zwei wichtige Ergänzungen: 1995 wurde das Magistralenkarree (Francis Hermann und Hubert Valentiny-Luxemburg) eröffnet, das ein Hotel, Büros und Läden beherbergt. Und 2001 folgte das Neustadt-Centrum (ebenfalls Francis Hermann und Hubert Valentiny-Luxemburg), das ein Multiplexkino und ein Einkaufscenter bietet. Doch trotz dieser Errungenschaften bleiben auch in der Neustadt Defizite. So mangelt es an überzeugenden Konzepten, wie die spezifisch modernen und emanzipatorischen Traditionen der Neustadt für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden könnten. Vor allem aber fehlt ein wirtschaftliches Profil, das der technologiebegeisterten Logik der Neustadt entspricht. Beispielsweise gibt es zur Zeit kaum Verknüpfungen zwischen der Neustadt und dem benachbarten Campus Weinberg. Auch deshalb bleiben die Potenziale des Neustädter Zentrums, das mit fünf achtzehngeschossigen Hochhausscheiben die höchste Bebauungsdichte Halles aufweist, ungenutzt. Eine originelle Belebung dieser verkehrsgünstig gelegenen Giganten, ob als Wohnmaschine a la Le Corbusier, als Bürokomplex oder als flexibel nutzbare Wohn- und Arbeitswelten für Existenzgründer und kulturelle Unternehmer, steht bis heute aus. Stattdessen entfalten die leer stehenden Gebäude, die das Neustädter Zentrum unübersehbar prägen, eine negative Ausstrahlung.

Das wohl fragwürdigste Kapitel der halleschen Stadtentwicklung ist der Umgang der Stadt mit dem Thema Leerstand. Der Niedergang der Industrie und der Rückgang der Bevölkerungszahl von 320.000 im Jahr 1990 auf 237.000 im Jahr 2003 führten auch in Halle zum Leerstand von Wohnungen. Derzeit stehen in Halle rund 30.000 Wohnungen leer, von denen sich der größte Teil in den Altbauquartieren befindet. Doch was auf den ersten Blick wie ein Wohnungsüberschuss erscheint, stellt sich bei näherem Hinschauen weit komplizierter dar. Zwar stehen in Halle rund 20 Prozent aller Wohnungen leer. Andererseits müssen aber auch die Hallenser mit einer unterdurchschnittlichen Wohnfläche vorliebnehmen. Denn während die Wohnfläche pro Kopf in Westdeutschland 43 Quadratmeter beträgt, liegt sie in Halle nur bei 39 Quadratmetern. Zudem konzentriert sich der Wohnungsleerstand auf bestimmte Lagen und Bautypen. In den Altbauvierteln sind vor allem dicht bebaute Arbeiterquartiere mit Grünflächendefiziten, dunkle Hinterhofwohnungen, Parterrewohnungen und Häuser an lauten Ausfallstraßen betroffen. Die großzügig geplanten bürgerlichen Stadtteile, die mit Vorgärten und weitläufigen Grünflächen aufwarten können, erfreuen sich dagegen einer großen Beliebtheit. In den Plattenbauquartieren sind es wiederum in erster Linie Bautypen mit ungünstigen Wohnungsgrundrissen, die dem Leerstand anheimfallen. Vor allem der Bautyp P 2 Ratio, der unter engen Wohnungen und fehlenden Balkons zu leiden hat, erweist sich als besonders unbeliebt. All diese Indizien deuten also darauf hin, dass es in Halle keineswegs ein Überangebot an Wohnraum, sondern eher eine Diskrepanz zwischen den Wohnwünschen der Bürger und dem realen Wohnungsangebot gibt. Es offenbart sich ein kompliziertes Ursachengemisch, das von der mangelnden Attraktivität einzelner Wohnungen bis hin zu städtebaulichen Defiziten in einzelnen Stadtteilen reicht. Und mancherorts sind es auch zu hohe Mieten, die viele Hallenser von der Nutzung größerer Wohnungen abhalten. Noch komplizierter wird die Lage durch die Unsicherheit demografischer Entwicklungen. Denn diese gleichen ja keineswegs Naturkatastrophen, denen eine Stadt hilflos ausgeliefert ist, sondern sie sind abhängig von politischen Entscheidungen. Potsdam zum Beispiel wurde in den 1990er Jahren eine starke Schrumpfung prognostiziert. Heute jedoch erzielt die Stadt ein beachtliches Bevölkerungswachstum, das der Stadt eine unerwartete Wohnungsnachfrage beschert.

Umso problematischer sind die Konzepte, mit denen sich die hallesche Stadtverwaltung dem Leerstandsproblem stellt. Denn die 2001 beschlossene "Stadtentwicklungskonzeption Wohnen", die ebenfalls 2001 verabschiedeten Neuordnungskonzepte für die Neustadt und die Silberhöhe sowie das 2002 vorgestellte "Integrierte Stadtentwicklungskonzept" sind vor allem Abrisskonzepte. Ihr Hauptaugenmerk gilt dem Abriss von 20.000 Wohnungen, der als Königsweg zum Umgang mit dem Leerstandsproblem angesehen wird. Alternative Konzepte, wie etwa die Verbilligung von Wohnraum durch neue Bewirtschaftungs- und Eigentumsformen, die Stimulierung von Gewerbeansiedlungen durch die kostenlose Überlassung von Räumen, die Umgestaltung unattraktiver Stadtteile oder die Ansiedlung von Zuzüglern durch eine entschlossene Wirtschaftspolitik, werden dagegen weit weniger verfolgt.

Der Mangel an Innovativität setzt sich bei den konkreten Planungen für die einzelnen Stadtteile fort. Für die Altbaugebiete etwa sehen die Planungen unterschiedslos Maßnahmen vor, die den althergebrachten Konzepten der Behutsamen Stadterneuerung folgen. Vor allem Gebäudesanierungen, Hofverschönerungen und Neubauten in Baulücken sollen demnach zu anziehenden "urbanen" und lebendigen Quartieren führen. Neue Ansätze für eine Aufwertung der leer stehenden Arbeiterquartiere aus der Kaiserzeit, wie sie zum Beispiel in Leipzig unter den Schlagwörtern "Weniger Dichte - mehr Grün" verfolgt werden, sucht man dagegen in Halle vergebens. Und innovative Konzepte, wie jene für den Leipziger Osten, wo dicht bebaute Strukturen aufgelockert und laute Straßen durch Grünflächen neu gefasst werden, wo mit Gestattungsvereinbarungen und anderen neuen Instrumenten des Stadtumbaues experimentiert wird, werden in Halle ebenfalls nicht verfolgt.

Ähnlich konventionell stellt sich die Strategie für die Plattenbausiedlungen dar. Hier ist der Abriss von 12.000 Wohnungen geplant, der vor allem durch die flächenhafte Beseitigung einzelner Siedlungsteile verwirklicht werden soll. Anspruchsvollere Ansätze für eine Aufwertung der Plattenbausiedlungen, wie durch die Terrassierung von Häusern, den Umbau von Wohnblöcken zu Stadtvillen oder die Realisierung von Grundrissänderungen, die in Leinefelde, Magdeburg oder Rostock erfolgreich verwirklicht worden sind, sehen die städtischen Konzepte nicht vor. Stattdessen verbindet sich mit den Abrissplänen die Vorstellung, dass die Bewohner der Plattenbauquartiere in die Altbauviertel umziehen und dort eine Verringerung des Leerstandes bewirken würden. Auf diese Weise soll eine Schrumpfung der Stadt von außen nach innen gelingen. (1) Ganz in diesem Sinne wurden in der Silberhöhe, der Neustadt und der Südstadt bereits rund 4000 Wohnungen abgerissen.

Doch in der Wirklichkeit zeigt sich schon jetzt, dass die scheinbar bewährten Rezepte nicht mehr funktionieren. Ein Beispiel ist die Silberhöhe, die in den letzten Jahren besonders massive Abrisse erlebt hat. Zudem wurden die Abrissplanungen für die Silberhöhe mehrfach erheblich ausgeweitet, mit der Folge, dass selbst sicher geglaubte Wohnblöcke auf die Abrisslisten gelangten. Die Konsequenz war eine Abwärtsspirale von Bevölkerungsverlusten, der Schließung von Einkaufsmöglichkeiten, Abrissen und Zukunftsängsten. Dennoch wurde das Ziel einer Schrumpfung von außen nach innen klar verfehlt. Im Gegenteil: Gerade im Zentrum der Silberhöhe breiten sich immer größere Brachflächen aus, die nun aufgeforstet werden sollen. Die äußeren Bereiche sind dagegen dank ihrer Naturnähe nach wie vor gut belegt. Und ganz in der Nähe der Silberhöhe, in der Kaiserslauterer Straße, haben private Investoren bewiesen, dass auch leer stehende Plattenbauten durchaus eine Zukunft haben können. Sie haben Plattenbaublöcke zu preisgünstigen Reihenhäusern umgebaut, die schnell ihre Käufer gefunden haben (Architekturbüro Müller, Halle). Der Erfolg dieses Projekts hat mittlerweile sogar weitere Vorhaben dieser Art angeregt. Erreicht wurde in der Silberhöhe also keine Schrumpfung von außen nach innen, sondern eine Schrumpfung von innen nach außen.

Aber selbst im gesamtstädtischen Maßstab hat sich die Hoffnung auf eine Schrumpfung von außen nach innen nicht erfüllt. Denn der Abriss in den Plattenbauquartieren und die Behutsame Stadterneuerung in den Altbauvierteln haben keineswegs zu großen Umzugsbewegungen in die Altbaugebiete geführt. Stattdessen zeigen sich gerade in den dicht bebauten Arbeitervierteln die Grenzen der Behutsamen Stadterneuerung. Denn dieses Konzept war ja für Städte mit Wohnungsmangel entwickelt worden, in denen selbst unattraktive Wohnungen ihre Mieter fanden. In Halle jedoch, wo die Mieter zwischen attraktiven Wohnungen wählen können, ist niemand gezwungen, in steinernen Quartieren oder an lauten Straßen zu wohnen. Eine lediglich behutsame Erneuerung solcher Problemgebiete bewirkt deshalb eher eine Verfestigung des Leerstandes. (2) Die hallesche Stadtumbaustrategie führte also nicht nur zu instabilen Plattenbauquartieren, sondern auch zu instabilen Altbauvierteln und zu fehlgeleiteten Sanierungsgeldern.

Und auch andernorts offenbart sich eine erstaunliche Gleichgültigkeit im Umgang mit baulichen Potenzialen. Ein Beispiel ist das Schicksal der im städtischen Besitz befindlichen Landesheilanstalt in Heide-Süd. Dieses reizvolle, zwischen 1844 und 1924 errichtete Ensemble blieb bis 2003 dem Leerstand und Verfall überlassen, obwohl eine Sanierung dringend not tat. Im Jahr 2003 schließlich wurden zentrale Teile des Komplexes zugunsten eines Technologie- und Gründerzentrums abgerissen. Mögliche Umnutzungen, wie etwa für das mitteldeutsche Multimediazentrum, wurden dagegen nicht weiter verfolgt. Stattdessen entsteht für das Multimediazentrum derzeit ein teurer wie unnötiger Neubau an der Ankerstraße. (Büro Freivogel und Letzel - Halle) Ein weiteres Beispiel für die Verschwendung von baulichen Werten zeichnet sich im Umgang mit den Hochhäusern am Riebeckplatz und am Glauchaer Steg ab. Diese Gebäude stellen nicht nur markante Landmarken im halleschen Stadtbild dar, sondern bieten auch höchst attraktive, flexibel nutzbare Räume in zentralen Lagen. Dennoch betreibt ihr Eigentümer, die kommunale "Hallesche Wohnungsgesellschaft" (HWG), ihren Leerzug und Abriss. Geradezu skandalös wird dieser Vorgang angesichts der Tatsache, dass es für diese Gebäude sogar einen Kaufinteressenten gibt, der bereits ähnliche Hochhäuser in Halle-Neustadt erfolgreich saniert hat. Doch die HWG hat das Kaufangebot bislang abgelehnt. Das Resultat sind entgangene Einnahmen und der Verlust wertvoller Gebäude.

Verschärft wird die Lage durch eine Stadtpolitik, die nicht auf die gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Stadtteile setzt, sondern zunehmend das Geld für aufwändige Prestigeprojekte verwendet. Ein Beispiel ist die teuere wie unnötige Neupflasterung des Marktplatzes oder der aufwändige Umbau des Riebeckplatzes, der kaum Verbesserungen nach sich zieht. Das so verwendete Geld fehlt aber an anderen Stellen, die dringend einer Aufwertung bedürften. Am Ende steht eine paradoxe Situation: Eine Stadt besitzt eine hervorragenden Lage, eine gute Verkehrsanbindung, ein reiches Kulturangebotes, eine Universität, baulichen Reichtum und somit alle Chancen, die Zukunft zu gewinnen. Doch sie verlegt sich auf eine mutloses Sich-Abfinden mit der Schrumpfung und verspielt auf diese Weise ihre Identität wie ihre Zukunft.

Matthias Grünzig

(1) vgl. Friedrich Busmann (damaliger Beigeordneter für Planen und Umwelt in Halle): Neue Wege in der städtischen "Wohnungslandschaft", Vortrag auf dem Symposium "Wohnungsleerstand in Ostdeutschland! Nur eine Not oder auch eine Chance?" des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. am 17.5.2001 in Halle, nachzulesen unter www.deutscher-verband.org

(2) vgl. Anita Steinhart (Projektleiterin am Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung Halle-Leipzig): Neue Prämissen für Innenstadtrevitalisierung, in: Netzwerk-Brief Nr. 13, September 2003, nachzulesen unter www.halle.de