Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.1.2010
Was ist die schönste Platte gegen die Goldene Henne? (Originaltitel: Auferstanden aus Ruinen) (Gotha)

Wer die Altstadt von Gotha durchstreift, der stößt schnell auf die typischen ostdeutschen Problemlagen. Es gibt anmutige Fachwerkhäuser, die mit leeren Fensterhöhlen erschrecken, daneben rotten eingestürzte Bürgerhäuser vor sich hin, und noch ein Stück weiter erstrecken sich Abrissflächen, die von den bereits verschwundenen Häusern künden. Doch es gibt auch andere Bilder. Viele gefährdete Altbauten haben in den letzten Jahren eine kaum mehr erwartete Rettung erfahren. Das Bürgerhaus "Zum Einhorn" aus dem Jahr 1667 konnte ebenso saniert werden wie das "Blödnersche Haus" mit seiner Renaissancefassade und seinen barocken Stuckdecken im Innern. Das Haus "Zur goldenen Henne", ein wuchtiger Renaissancebau von 1576, erstrahlt ebenso in neuem Glanz wie das benachbarte Barockhaus "Zur goldenen Quelle" und ein Fachwerkhaus aus der Zeit um 1570. Ganze Häuserzeilen am Brühl und am Hauptmarkt konnten zu neuem Leben erweckt werden. Selbst vor den unsanierten Häusern sind Hoffnungszeichen zu finden. Hier stehen Schilder mit dem Hinweis "Dieses Haus gehört nicht der Stadt Gotha" und dem trotzigen Bekenntnis: "Aber wir bemühen uns um Lösungen".

Die Wiederbelebung der Altstadt begann mit einer Krise. Ebenso wie viele andere ostdeutsche Städte wurde auch Gotha nach 1990 von einem Problemgeflecht aus Wirtschaftskrise, Abwanderung und Wohnungsleerstand heimgesucht. Verschärft wurde die Misere durch die schwierigen Eigentümerstrukturen in der Altstadt. Ein Großteil der Altstadthäuser gehörten auswärtigen Privateigentümern, die mit ihren Immobilien vor allem Gewinne erwirtschaften wollten. Doch Gewinne lassen sich mit Gothaer Altbauten beim besten Willen nicht erzielen. Die Sanierung der Gebäude erfordert nicht selten Kosten von 2000 bis 3000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, die durch die in Gotha üblichen Nettokaltmieten von 4 bis 5 Euro pro Quadratmeter nicht gedeckt werden können. Unter diesen Bedingungen sind Sanierungen selbst bei Verwendung von Fördermitteln unrentabel.

Folgerichtig ließen viele Eigentümer ihre Häuser verfallen. Die Stadtverwaltung versuchte viel, um die Eigentümer zur Sanierung oder wenigstens zur Sicherung ihrer Häuser zu bewegen. Zahllose Briefe wurden geschrieben, unzählige Male wurde gebeten, gemahnt, mit Fördergeldern geworben. Doch am Ende war der Erfolg fast gleich null.

Die Folgen waren katastrophal. Von manchen Baudenkmälern fielen nur Fassadenteile herab, andere stürzten ganz ein, und noch andere Häuser fielen der Abrissbirne zum Opfer. Auf diese Weise verschwanden barocke Ackerbürgerhöfe an der Schwabhäuser Straße, Kleinbürgerhäuser aus dem 18. Jahrhundert am Mohrenberg und das älteste Gothaer Hotel "Volkshaus zum Mohren", dessen Geschichte bis in das Jahr 1553 zurückreichte. Große Teile der wertvollen Gothaer Innenstadt schienen unrettbar verloren zu sein.

Was also tun? Zum Retter in der Not avancierte schließlich die kommunale Baugesellschaft Gotha. (BGG). Die BGG zeichnet sich gegenüber den Privateigentümern durch zwei entscheidende Unterschiede aus. Einerseits ist sie nicht dem Gewinn, sondern dem Wohl der Stadt verpflichtet. Andererseits besitzt sie ausgedehnte Plattenbaubestände aus der DDR-Zeit, die sich relativ preiswert unterhalten lassen und deshalb Gewinne erwirtschaften. Diese Gewinne kann die BGG nutzen, um die unrentablen Altbausanierungen zu finanzieren.

Doch mit der Lösung der Finanzierungsprobleme waren noch längst nicht alle Probleme der Altstadtsanierung bewältigt. Häufig bestanden zwischen den Anforderungen des Denkmalschutzes und den Bedürfnissen der Mieter eine kaum zu überbrückende Kluft. Während die Denkmalpfleger an einer möglichst originalen Erhaltung der historischen Stadt- und Gebäudestrukturen interessiert waren, empfanden viele Gothaer genau diese Strukturen als unattraktiv. Sie störten sich an der dichten und verwinkelten Altstadtbebauung und verlangten stattdessen nach hellen Wohnungen mit Balkonen, nach Grünflächen und Parkplätzen vor der Haustür. Dieser Konflikt wurde schließlich durch einen Kompromiss entschärft: Einerseits erfuhren die Straßenfassaden und die wertvollsten Räume eine denkmalgerechte Sanierung. Andererseits wurden die Hofbereiche komplett umgestaltet. Hintergebäude verschwanden, mehrere Höfe wurden zu großzügigen Blockinnenbereichen mit Grünflächen und Carports umgebaut, an die Hoffassaden wurden Balkone und Aufzüge angefügt. Durch diese Umbauten ist sicher ein Stück Altstadtcharme verlorengegangen. Dennoch sind sie besser als unverfälschte Altstadtstrukturen, in denen niemand wohnen will.

Auch für die nächsten Jahre hat sich die BGG viel vorgenommen. Bereits 2008 hat sie das Landschaftshaus am Schlossberg erworben. Das prächtige Barockpalais, das seit 1990 leer steht, soll in den nächsten Jahren saniert werden. Die Chancen stehen gut, dass zumindest der Niedergang der Altstadt gestoppt werden kann.

Matthias Grünzig