Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.1.2011
Im Teufelskreis (Zittau)

Zittau ist eine Stadt, in der Pracht und Tragödie dicht beieinanderliegen. Wer die ostsächsische Stadt besucht, der erlebt einen geradezu überwältigenden baulichen Reichtum. In der Altstadt reihen sich prunkvolle Kaufmannshäuser aus der Renaissancezeit und Barockzeit aneinander, die in puncto Prachtentfaltung mit ihren Schwestern in Leipzig oder Prag konkurrieren können. Ebenso eindrucksvoll sind die Ringstraße mit ihren klassizistischen Repräsentationsbauten und die neueren Stadtteile, in denen sich dekorative Wohnhäuser des Historismus und des Jugendstils abwechseln. Kaum eine deutsche Stadt hat eine größere Dichte an Baudenkmälern zu bieten als Zittau.

Umso beklemmender sind die Entwicklungen, die sich derzeit in Zittau vollziehen. Allein in der Altstadt sind in den letzten Jahren über 60 Baudenkmäler abgerissen worden. Barocke Bürgerhäuser fielen ebenso den Abrissbaggern zum Opfer wie Kaufmannshäuser aus der Renaissancezeit. Selbst die sonst um Optimismus bemühte Lokalzeitung titelte: "Das Ende der Altstadt ist eingeläutet."

Wer nun aber denkt, dass in Zittau eine besonders verständnislose Stadtverwaltung agieren würde, der irrt gewaltig. Im Gegenteil: Die Stadt hat in den letzten Jahren alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihren kostbaren Denkmalbestand zu retten. Doch gleichzeitig zeigte sich, dass die Probleme die Möglichkeiten der Stadt bei weitem überstiegen. Schließlich musste Zittau nach 1990 den Verlust seiner gesamten Industrie, einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf über 20 Prozent und einen dramatischen Bevölkerungsrückgang um fast 50 Prozent verkraften. Mindestens ebenso verheerend wirkte sich die Verarmung der Stadt aus. Zittau entwickelte sich zu den Städten mit den deutschlandweit niedrigsten Einkommen. Die Konsequenzen waren fatal: Gerade die Altstadthäuser, deren Sanierung und Unterhaltung besonders kostspielig war und die deshalb besonders hohe Mieten erforderten, fanden kaum noch Mieter. Der Wohnungsleerstand in der Altstadt stieg auf 35 Prozent an.

Groß war daher die Hoffnung, als die Bundesregierung 2001 das Programm "Stadtumbau Ost" beschloss, das gerade die krisengeschüttelten Städte Ostdeutschlands stärken sollte. In der Realität allerdings entpuppte sich das Programm vor allem als ein Abrissförderungsprogramm. Insgesamt gewährte es 1,2 Milliarden Euro für den Abriss von 350000 Wohnungen bis 2009 und 1,1 Milliarden Euro für die Tilgung der auf den Abrisshäusern lastenden Schulden. Für Aufwertungsmaßnahmen wurden dagegen nur 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, und diese wurden auch nur dann gewährt, wenn kräftig abgerissen wurde.

Die Folgen für Zittau sind desaströs. Die Stadt ist bis heute in einem Teufelskreis aus Wirtschaftskrise, Bevölkerungsschwund und Leerstand gefangen. Die Hauseigentümer passen sich der Misere an. Einige entledigen sich ihrer unrentablen Häuser durch Abriss. Andere reißen zwar nicht ab, verzichten aber auch auf eine Sanierung, weil die Baukosten angesichts der niedrigen Einkommen und Mieten nicht amortisiert werden können. Die vernachlässigten Häuser fallen immer häufiger Einstürzen zum Opfer. Noch andere Hauseigentümer hatten ihre Häuser nach 1990 teuer saniert und haben nun Probleme, Mieter zu finden. Sie reagieren häufig mit Dumpingmieten, die allerdings auch keine Lösung bieten. Schließlich müssen die Häuser dauerhaft instand gehalten werden. Mieten, die diese Instandhaltungskosten nicht decken, führen zu einem abermaligen Verfall der Bausubstanz. Immer mehr Eigentümer versuchen, ihre Häuser an die Stadt zu verschenken. Doch auch die Stadtverwaltung hat nur begrenzte Mittel zur Instandhaltung unrentabler Häuser zur Verfügung.

Und solange die Schrumpfung weitergeht, gibt es kaum einen Ausweg aus dem Dilemma. Selbst die Sanierung von unbewohnten Häusern hat nur zur Folge, dass andere sanierte Häuser Mieter verlieren. Auch Notsicherungen sind kein Ausweg. Denn diese haben nur dann eine Perspektive, wenn die Aussicht besteht, dass sich eines Tages doch wieder Mieter für die leeren Häuser finden. Doch diese Hoffnung besteht in Zeiten sinkender Einwohnerzahlen nicht.

Dabei gäbe es durchaus Auswege. Beispielsweise kämpft die Stadt schon seit Jahren für eine Verbesserung der miserablen Verkehrsanbindung, die Investoren regelmäßig abschreckt. Der längst geplante Ausbau der Bundesstraße 178 könnte dieses Manko beheben. Doch Geld gibt es fast immer nur für den Abriss. Auch wäre schon viel gewonnen, wenn die "Stadtumbau Ost"- Gelder nicht mehr für den Abriss verwendet werden müssten, sondern von den lokalen Verantwortlichen nach ihren Bedürfnissen ausgegeben werden könnten. Auch derartige Forderungen stießen immer wieder auf taube Ohren. Im Gegenteil: In den letzten Jahren wurde das "Stadtumbau Ost"-Programm noch bürokratischer gestaltet. 2009 wurde sogar eine Aufstockung der Abrisspläne beschlossen. Bis 2016 sollen - zusätzlich zu den bisherigen 350000 Wohnungsabrissen - nochmals 220000 Wohnungen beseitigt werden. Wieder sollen Milliardenbeträge für den Abriss ausgegeben werden, und das, obwohl alle Untersuchungen belegen, dass durch Abrisse keine nachhaltige Stärkung der Städte erreicht werden kann. Die Zerstörung der Zittauer Altstadt wird also auch in Zukunft weitergehen.

Matthias Grünzig