Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Bauwelt 12/2011
Klimaschutz und soziale Verträglichkeit (Berlin-Buch)

Klimaschutz und Ökologie sind Ziele, die von der Politik gern beschworen werden. In der Praxis allerdings stoßen Klimaschutzmaßnahmen noch immer auf massive Schwierigkeiten. Ein Beispiel ist die energetische Sanierung des Wohngebietes Berlin - Buch.

Das Wohngebiet Berlin - Buch wurde zwischen 1969 und 1987 in Plattenbauweise errichtet. Nach 1990 wurde ein Teil der Wohnhäuser durch Wohnungsgenossenschaften saniert. Die städtische Wohnungsgesellschaft Gesobau dagegen beließ ihre Bestände unsaniert und versuchte, ihre Wohnungen zu extrem niedrigen Nettokaltmieten von teilweise 1,96 Euro pro Quadratmeter zu vermieten. Die Folge war allerdings, dass mit diesen niedrigen Mieten selbst einfachste Instandhaltungen nicht mehr finanziert werden konnten. Undichte Wände und veraltete Heizungen sorgten für einen hohen Heizenergieverbrauch von fast 150 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr (kWh/m2/a) und entsprechend hohe Nebenkosten. Die Konsequenz war ein Wohnungsleerstand, der trotz Dumpingmieten auf 14 Prozent anstieg. Dieser Zustand führte 2003 zur Entstehung einer Bürgerinitiative, die Unterschriften für eine Gebäudesanierung sammelte. Im Januar 2008 mahnte auch die zuständige Bezirksverordnetenversammlung Berlin - Pankow eine Sanierung an.

2009 kündigte sich endlich eine Wende zum Besseren an. Zum 1. Juli 2009 erwarb die ebenfalls städtische, aber finanziell potentere Wohnungsgesellschaft HOWOGE die Bucher Bestände der Gesobau. Das Ziel der HOWOGE war, die Siedlung zu einem ökologischen Modellquartier umzubauen. Buch bot sich aus mehreren Gründen für solch ein Modellprojekt an. Einerseits bieten Plattenbauten besonders gute Voraussetzungen für eine energetische Gebäudesanierung. Die Häuser, die in der Regel nicht unter Denkmalschutz stehen, können problemlos mit effizienten Wärmedämm-Verbundsystemen, Wärmeschutzfenstern und Solaranlagen ausgestattet werden. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat ergeben, dass auf diese Weise Heizenergieverbräuche von deutlich unter 100 kWh/m2/a erzielt werden können. Sanierte Altbauten dagegen verbrauchen selbst nach aufwändigen Sanierungen immer noch durchschnittlich 130 kWh/m2/a Heizenergie. Ein weiterer Vorteil war, dass die HOWOGE über eine große Erfahrung mit der energetischen Sanierung von Plattenbauten verfügte. In den letzten Jahren hatte sie rund 45.000 Plattenbauwohnungen hochwertig saniert. Viel Anerkennung fand ein Hochhaus in der Schulze-Boysen-Straße, das 2006 zum größten Niedrigenergiehaus Deutschland umgebaut worden war.

Diese Erfolgsgeschichte sollte auch in Buch fortgeschrieben werden. Deshalb erarbeitete die HOWOGE gemeinsam mit dem Berliner Planungsbüro IPB.B ein Konzept für eine modellhafte energetische Sanierung von 2300 Bucher Wohnungen. Geplant waren Wärmeschutzfassaden, Wärmeschutzfenster, Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, die Nutzung der Erdwärme, Solaranlagen, stromsparende Schalter und wassersparende Armaturen. Altersgerechte Wohnblöcke mit barrierefreien Wohnungen und rollstuhlgerechten Aufzügen gehörten ebenso zum Sanierungsprogramm wie der Neubau eines Stadtteilzentrums mit Volkshochschule, Stadtteilbibliothek und Musikschule. Dieses Konzept wurde bei dem Wettbewerb "Energetische Sanierung von Großwohnsiedlungen", der 2009 vom Bundesbauministerium veranstaltet wurde, mit einer Bronzemedaille prämiert.

Die Umsetzung des preisgekrönten Konzeptes stieß dann allerdings auf starke Widerstände. Ein Problem war die Finanzierung. Zwar gibt es öffentliche Fördermittel für die Gebäudesanierung, doch diese werden nur in Form von zinsverbilligten Krediten gewährt. Deshalb musste ein Großteil der Sanierungskosten auf die Mieten umgelegt werden. Die Folge war ein deutlicher Anstieg der Nettokaltmieten auf 6 bis 7 Euro pro Quadratmeter. Die warmen Betriebskosten wären dagegen nur um rund 90 Cent gesunken. Viele Bewohner hätten diese Mieten nicht bezahlen können. Der Mietpreisanstieg wurde von einigen Medien genutzt, um den Sinn energetischer Sanierungsmaßnahmen generell in Frage zu stellen.

Die negative Medienberichterstattung verfehlte ihre Wirkung nicht. 2010 wurden die Planungen vorerst gestoppt und die Geschäftsführung der HOWOGE ausgetauscht. Anschließend wurde die Sanierungsplanung auf Einsparpotenziale untersucht, in deren Folge die Erdwärmenutzung, die Solaranlagen und die Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung gestrichen wurden. Die neuen Planungen, die diesmal von den Berliner Büros BBP Bauconsulting und Gneise 66 stammten, sahen vergleichsweise niedrige Baukosten von rund 500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und eine Reduzierung des durchschnittlichen Heizenergieverbrauchs auf rund 75 kWh/m2/a vor. Durch diese Maßnahmen konnten die Nettokaltmieten auf 5 bis 6 Euro pro Quadratmeter begrenzt werden. Im Gegenzug sollen die warmen Betriebskosten um 60 Cent pro Quadratmeter sinken. Zudem erklärte sich die HOWOGE bereit, mit einkommensschwachen Mietern Sondervereinbarungen abzuschließen. Mittlerweile hat ein Großteil der Mieter den Sanierungen zugestimmt, der Baubeginn ist für den April dieses Jahres geplant.

Dennoch zeigt der Fall Buch grundsätzliche Probleme auf, mit denen energetische Sanierungen zu kämpfen haben. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sind ökologische und soziale Ziele nur schwer auf einen Nenner zu bringen.

Matthias Grünzig